Seite 10 - Brocken

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Die Geschichte des Brockens
Eine Schar von Schülern des Quedlinburger
Gymnasiums stieg im Sommer 1634 über
Wernigerode und Hasserode zum Gipfel hinauf
und kehrte auf demselben Wege wieder zurück.
Einer der Teilnehmer hat die Reise frei nach
Ovid und Vergil in hochtönenden lateinischen
Hexametern besungen. Was hat er da für
Schrecken und Gefahren, die die jungen Herren
zu überwinden hatten, hineingedichtet! Sogar
von Löwen weiß der Dichter zu vermelden!
Sicherlich handelte es sich um eine Wildkatze
oder einen Luchs, der dann, durch die poetische
Brille gesehen, etwas sehr groß geraten war.
Interessant aber ist, dass in dieser dichterischen
Verherrlichung, die nahezu sämtliche Neben-
sächlichkeiten ausmalt, von
„Hexenbrunnen“
,
„Teufelskanzel“
und
„Hexenaltar“
noch keine
Rede ist. Daraus kann man schließen, dass
diese so spukhaft heidnisch und uralt an-
mutenden Namen im Jahre 1634 noch nicht
bekannt waren. Vielleicht auch ein Beweis
dafür, dass die Geschichten von den Wal­pur­gis­
fahrten der Hexen im Volksbewusstsein noch
nicht verwurzelt waren.
Fünfzehn Jahre später erhielt der Brocken
seinen zweiten fürstlichen Besuch: Fürst Fried-
rich von Anhalt-Bernburg unternahm 1649 mit
Gefolge eine Harzreise. Über Rothenburg, den
Kyffhäuser und Questenberg gelangte die
„bei
15 Pferde starke“
Reiterschar nach Rübeland
und wandte sich dann dem Brocken zu. Nach
dem Tagebuch des Fürsten berichtet ein Zeit-
genosse über den Aufstieg folgendes:
„Wären
hernach den 1. August nach dem Brocken-Berge
gegangen und hätten durch einen morastigen,
steinigten und sonsten bösen Weg eine Meile
hinan bestiegen, die Bäume aber sich in der Höhe
immer verringert und endlich gar verloren, also
daß oben der Platz einer guten halben Meile groß
ganz kahl mit Heide bewachsen, teils morastig,
teils felsig und hart wäre gewesen. Der Wegweiser
hätte, weil es sehr neblig gewesen, sich nicht ge-
traut, den Weg nach dem Andreas-Berge
(Andreasberg)
zu finden, hätten also die vorige
Beschwerde wiederholen und mit Gefahr
Menschen und Pferde herabziehen müssen.“
In
dieser Beschreibung der Brockenreise Fürst
Friedrichs von Anhalt-Bernburg wird erstmals
die Brockenquelle erwähnt:
„Ein schöner großer
Quell guten Wassers, an welchem ein Stein ge-
legen mit einem Loche, worin eine eiserne Stange
gestanden, daran eine eiserne Kelle mit einer
Ketten angeheftet, welcher Quell der Zauber-
Brunn genannt wurde.“
Der hier zum ersten Mal in einem Namen
des Brockengipfels auftretende Anklang an
Hexen- und Teufelsspuk ist vielleicht ein
Zeichen dafür, dass in der Zwischenzeit doch
mehr Bergbesteigungen, besonders durch Wis­
senschaftler, stattgefunden haben müssen, als
man nach den Aufzeichnungen nachweisen
kann. Oder aber, was auch sein könnte, der Zeit-
genosse, der die Auszüge aus dem Tagebuch des
Herzogs veröffentlichte, war ein Jurist, dem aus
Hexenprozessen der Zauberspuk der Walpurgis-
nacht geläufig war.
Ein anderer Besucher, der 1654 diese Quelle
ebenfalls erwähnt, fügte noch hinzu, vor dem
Zauberbrunnen habe sich eine ziemliche Menge
von Kerbhölzern befunden, die von all denen,
die auf den Berg gekommen seien und aus dem
Quell getrunken hätten, hier niedergelegt
wurden. Eine Art Besucherkarte also. Ehe man
auf dem Brocken ein Fremdenbuch führte,