Seite 28 - Brocken

Basic HTML-Version

48
Eine neue Zeit begann
zu können. Das Tor war aber geschlossen. In
Anbetracht der Menschenmassen fasste man
Mut und versuchte es abermals am Brockentor.
Hörseljau berichtet weiter:
„Das gesamte
Brocken­plateau war mit einer drei Meter hohen
und fast drei Kilometer langen Mauer aus Fertig-
betonteilen umgeben. Auf den ersten Blick eine
unglaubliche Festung – die, wie sich später her-
ausstellte, an vielen Stellen brüchig und wacke-
lig war und den rauen Witterungsverhältnissen
kaum standhielt.
Vor dem Brockentor hatte sich schon eine grö-
ßere Menschenmenge angesammelt und wartete.
Einige Vertreter der Bürgerbewegung verhandelte
mit der hier noch herrschenden Staatsmacht. Auf
der Wetterwarte, die innerhalb des gesperrten Be-
reiches lag, wurde ein Transparent mit ‚Mauer weg‘
hochgezogen. Die Rufe nach Öffnung des Tores
wurden immer drängender.
Der wachhabende Offizier war sichtlich um
Haltung bemüht. Er wurde schließlich vor die
Alter­native gestellt: entweder das Tor wird bis
13 Uhr geöffnet, oder das Tor ist um 13 Uhr of-
fen. Kurze Zeit später, nach nochmaligem Telefo-
nat mit Berlin, wurde das Tor geöffnet. Dann gab
es kein Halten mehr: Die inzwischen stark ange-
wachsene Menschenmenge strömte in die Festung
hinein, verteilte sich über das gesamte Brocken-
plateau und umrundete die geheimen und noch-
mals eingezäunten Anlagen.
Vorbei ging es am ‚Pfefferminzpalast‘ und am
Bahnhof zum Gipfel. Eine fantastische Sicht war
die Entschädigung für den anstrengenden Auf-
stieg. Tanzend und singend nahmen die Menschen
wieder Besitz vom Brocken. Volksfeststimmung –
ausgelassen wurden Lieder gesungen, Menschen
umarmten sich.“
Andere Brockenstürmer berichteten, dass
einige der Brocken-Grenzer Suppe kochten und
verkauften. Viele Soldaten verfolgten den
Demonstrationszug aus den Fenstern des Bahn-
hofs, andere betätigten sich gar als Fremden-
führer. Die Nachricht von der Öffnung des Bro-
ckens verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Wandervereine aus Ost und West und viele Neu-
gierige aus allen Teilen des Harzes sowie des
Umlandes zog es in den folgenden Wochen hi-
nauf auf den Berg.
Bis Kriegsende 1945 war dieser höchste Berg
des Harzes der wohl meist besuchteste Aus-
flugsberg, Hunderttausende von Besuchern
kamen jedes Jahr hier her. Nach den ver-
änderten politischen Verhältnissen ist es heute
wieder jedermann möglich, auf den Pfaden zum
höchsten Berg des Harzes zu wandern oder mit
der Brockenbahn hinaufzufahren – nachdem
dieser 1961 zum absoluten Sperrbezirk für
Touristen erklärt wurde und somit nicht mehr
erreichbar war.
Bereits am 29. Januar 1990 wurde der
Brockenbahnhof von der NVA an die Reichs-
bahn zurückgegeben und schon im Februar
1990 plante man, die legendäre Brockenbahn
so schnell wie möglich wieder in Betrieb zu
nehmen. Touristikverbände und Eisenbahn-
freunde aus Ost und West hatten bereits mehr-
fach eine Wiederinbetriebnahme der betagten
Dampfzüge gefordert. Die ersten Gespräche im
Rat des Bezirks Magdeburg für Verkehr und
Fernmeldewesen und mit dem damaligen nie-
dersächsischen Wirtschaftsminister Walter Hir-
che ließen hoffen.
Am 1. April 1990 meldeten die Zeitungen –
und das war kein Aprilscherz –:
„Harzburgs