Seite 110 - Fallersleben

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Zwischen Krise und Krieg
MANFRED GRIEGER
Protestantisch geprägte Landregionen des Deutschen
Reiches bildeten früh Hochburgen der NS-Bewegung,
wobei der Aufstieg der NSDAP in Fallersleben zur
dominanten politischen Kraft diese Tendenz eindrucks­
voll bestätigt.
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Diese Landstadt mit ihren etwas mehr
als 2.000 Einwohnern im Jahre 1933 zeigt stellver­
tretend die politische Dynamik des Nationalsozialis­
mus, seine Ausschlussmechanismen etwa bei der
Verfol­­gung von Regimegegnern, aber auch seine struk­
turellen Auswirkungen auf die Stadtentwicklung und
die Kommunalverwaltung. Schließlich führt sie die
Verbandelung von kommunalen Eliten mit dem neuen
Machtfaktor vor Augen.
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Auf der Kommunalebene, die
die konkret Handelnden benennbar macht, kann die
lange anhaltende Regimeloyalität nicht ausschließlich
mit der charismatischen Herrschaft Hitlers oder der
terroristischen Staatsgewalt erklärt werden.
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Erst zu­
sammen mit kommunalen Aktivitäten, die propa­gan­
distisch als Erfahrungsebene der nationalsozialistischen
„Volksgemeinschaft“ ausgegeben wurden, ergab sich
die umfassende Bindungskraft des Nationalsozialismus,
der gerade auf lokaler Ebene Integrationsmöglich­
keiten schuf.
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Die politische Selbstunterordnung der
Wankelmütigen erhöhte die Unterstützungsbereit­
schaft, wie der Anpassungsdruck die Zahl der Regime­
gegner in überschaubarer Dimension beließ.
Völkische Milieus
Die völkische Bewegung hatte in Fallersleben eine
lange Tradition, bestand doch hier bereits 1922 die
„Deutsch-Völkische-Freiheitspartei“. 1924 erfolgte die
örtliche Neugründung der NSDAP, die im November
1929 bei den Wahlen zum Provinziallandtag mit fast
einem Drittel einen außergewöhnlich hohen Stimmen­
anteil erzielte.
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Die Dominanz der politischen Rechten
Zwischen Krise und Krieg: Hoffmann-Stadt Fallersleben in der Hitler-Zeit
beruhte auch auf der langjährigen Existenz eines
starken „Stahlhelm“-Verbands in Fallersleben.
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Wie
andernorts auch verloren die bürgerlichen Parteien im
Zuge der politischen und wirtschaftlichen Krise der
Jahre nach 1929 ihre Stammwähler, so dass die NSDAP
in Fallersleben bei den Reichstagswahlen am 14. Sep­
tember 1930 mit 514 Stimmen erstmals zur stärksten
Partei aufstieg und 80 Wähler mehr fand als die SPD.
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Bei der Kommunalwahl im November 1929 hatte sich
die NSDAP dagegen noch nicht entscheidend durch­
setzen können. Zwar stellte sie erste Vertreter im
„Bürgervorsteher-Kollegium“ genannten Stadtparla­
ment, jedoch baute auch die SPD ihre Position aus.
Hatte im Oktober 1929 die Verleihung der Stadt­
rechte an die Kommune mit ihren rund 2.200 Ein­
wohnern als formelle Anerkennung des Erreichten ge­
wirkt, brachen die politischen Meinungsunterschiede
über die weitere Stadtentwicklung im Dezember 1929
beim überraschenden Tod des amtierenden Bürger­
meisters Dr. Otto Pöhling auf.
Die meisten Bürgervorsteher, darunter die SPD-Ver­
treter, setzten sich für die Wahl eines externen Ver­
waltungsbeamten ein, von dem starke wirtschaftliche
Impulse, eine Profes­sio­nalisierung der kommunalen
Dienste, aber auch eine Modernisierung der kommunal­
politischen Entschei­dungs­prozesse erhofft wurde.
Schlussendlich wählten die Bürgervorsteher in ihrer
Sitzung am 29. April 1930 mit dem 29-jährigen Otto
Wolgast einstimmig einen Auswärtigen, der sich durch
sehr gute Prüfungsergebnisse als Diplom-Kommunal­
beamter auszeichnete und erste Berufserfahrungen u.a.
als Stadtobersekretär in der westfälischen Kleinstadt
Kamen gesammelt hatte.
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ImMagistrat, dem operativen
Entscheidungsgremium der städtischen Selbstver­
waltung, wurden ihm der parteilose Landwirt Martin
Pfeiffer und der Maurer Robert Blume von der SPD an
die Seite gestellt.