Seite 112 - Fallersleben

Basic HTML-Version

276
Zwischen Krise und Krieg
Dementsprechend war das Jahr 1932 durch eine
offenkundige Ambivalenz geprägt: Die National­
sozialisten drängten an die Macht, besaßen aber noch
keine dominante Machtposition. Vor diesem Hinter­
grund wurde der Antrag der NSDAP, den in Fallers­
leben geborenen nationalsozialistischen Landtags­
präsidenten Hanns Kerrl zum Ehrenbürger zu ernennen,
am 12. Juni 1932 vom Magistrat „zunächst noch zu­
rückgestellt“, wohl weil aus Sicht des NSDAP-Funk­
tionärs selbst diese Ehrung „erst dann erwünscht ist,
wenn klare politische Verhältnisse vorliegen“.
16
Am
26. August 1932 entschied der Magistrat die Ehren­
bürgerfrage „erst nach den Kommunalwahlen beraten“
zu wollen; am 6. Dezember 1932 folgte der Beschluss,
die Angelegenheit „zunächst ruhen“ zu lassen.
17
Derweil verbreiterte dieNSDAP ihre organisatorische
Basis und verbesserte mit ihren zahlreichen Ver­
anstaltungen den Durchdringungsgrad der lokalen
Öffentlichkeit. Neben der NSDAP-Ortsgruppe, die von
Herbst 1932 an vom Obergerichtsvollzieher Gustav
Schonert geleitet wurde, bestand ein örtlicher SA-
Sturm, dem sein Vorgänger Fritz Witte vorstand. Die
Hitler-Jugend existierte am Ort seit 1928,
18
und eine
Ortsgruppe der NS-Frauenschaft gründete sich 1932.
Deren Verankerung im Alltagsleben führte ein Bericht
der „Aller-Zeitung“ über die „Weihnachtsfeier der NS-
Frauenschaft“ vor Augen, der alle NS-Funktionäre,
aber auch die Beitragenden, darunter die Tochter des
NSDAP-Ortsgruppenleiters und Mitglieder des Jung­
volks, namentlich nannte. Darüber hinaus bewertete
der Redakteur die Veranstaltung, anscheinend wegen
der Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“, als „schöne, er­
bauende Feier“.
19
Saalschlacht zur Verhinderung der Filmaufführung
von „Im Westen nichts Neues“
Wie andernorts verlegte sich die politische Aus­
einandersetzung aber auf die Straße, was seinen Aus­
druck auch darin fand, dass das üblicherweise einmal
im Monat tagende Bürgervorsteher-Kollegium während
der Umbruchphase letztmalig am 20. Dezember 1932
zusammenkam. Den Höhepunkt erreichte der Kampf
um die Macht, als am 17. Januar 1933 die örtliche SPD
in den „Fallersleber Hof“ zur Aufführung des Anti­
kriegsfilms „Im Westen nichts Neues“ einlud. Erich
Maria Remarques Roman und auch der Film von Lewis
Milestone wirkten auf rechtsstehende Kräfte hoch­
gradig provokativ, beraubten sie doch den millionen­
fachen Tod deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg des
Sinns, so dass die angestrebte „Revision von Versailles“
ihre Legitimation zu verlieren drohte.
20
Dagegen
bildete sich in Fallersleben eine die neue Macht gleich­
sam vorweg nehmende Einheitsfront aus SA, SS, NSDAP,
Landwehrverein und Stahlhelm, die in trauter Ge­
meinsamkeit zunächst zum Bürgermeisteramt am
Schloss zogen, dann „sämtlich schwer bewaffnet mit
Aufruf zu einer Kundgebung der
NS-Betriebszellen-Organisation am
18.09.1831.