Seite 136 - Fallersleben

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Über die Altstadtgrenzen hinaus
WERNER STRAUSS
Wohnungsbau im Zeichen der Wohnungsnot
Über die Jahrhunderte hatte sich Fallersleben als
wirtschaftlicher und Verwaltungsmittelpunkt in seinem
ländlichen Umland entwickelt. Sein Einzugsbereich von
Ehra im Norden bis in die Region des Hasenwinkels im
Süden entsprach im Wesentlichen dem Bezirk des
früheren Amtsgerichtes. Bis in die 1930er Jahre hinein
war die Stadt Fallersleben kaum über die Altstadt-
grenzen, markiert vom Straßenring Mühlenkamp-Neue
Straße-Viehtrift-Hofekamp-Hinterm Hagen, hinaus-
gewachsen. Der Bau des Mittellandkanals hatte nur
schwache Impulse für den Wohnungsbau ausgelöst, und
die Industrieansiedlung des Volkswagenwerkes machte
sich während der Kriegszeit hinsichtlich der Einwohner-
entwicklung und der Wohnungsnachfrage in Fallers-
leben noch kaum bemerkbar. Bis 1944 blieb die Ein-
wohnerzahl der Hoffmannstadt unter der Grenze von
3.000. Die gegen Ende des 2. Weltkrieges ausgelöste
Fluchtbewegung aus den deutschen Ostgebieten brachte
dagegen innerhalb weniger Monate eine sprunghafte
Erhöhung der Einwohnerzahl um etwa 2.000. Neben
der Stadt Wolfsburg verfügte Fallersleben über den
höchsten Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen
im damaligen Landkreis Gifhorn.
Diese exorbitante Ausweitung der Bevölkerungs-
zahl, gerade in Orten des damaligen westlichen Zonen-
randgebietes, führte auch in der Kleinstadt Fallersleben
unweigerlich zu einer Wohnungsnot, der, wie anderen-
orts, mit Maßnahmen der Wohnungs­zwangswirtschaft
von staatlicher Seite begegnet wurde, die auf kom­
munaler Ebene umzusetzen waren. An diese Zeit er-
innerte sich Fallerslebens früherer Bürgermeister und
Stadtdirektor Otto Wolgast: „In jeder Woche fanden
nach vorausgegangenen Besichtigungen lang an­
dauernde Sitzungen (des Wohnungsausschusses) statt,
Über die Altstadtgrenzen hinaus: Grundzüge der städtebaulichen Entwicklung seit der Nach-
kriegszeit
die wenig erfreulich waren, alle Teilnehmer strapa­
zierten und im Ergebnis doch nur kleine und kleinste
Erfolge brachten. Den wenigen freigewordenen Wohn-
raum möglichst gerecht zu vergeben, war eine fast un-
lösbare Aufgabe.“
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Die Zwangsbewirtschaftung, also
die Begrenzung der Verfügung über eigenen Wohn-
raum reichte bis in die 1960er Jahre und damit weit in
die Zeit des Wirtschaftswunders hinein.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit war an eine
Bautätigkeit zur Schaffung von Wohnraum in den länd-
lichen Regionen kaum zu denken. Zu groß war die
Knappheit an Baumaterial und finanziellen Ressourcen
der Bauwilligen vor der Währungsreform. Lediglich
einzelne Siedlungshäuser sind in Fallersleben im Zeit-
raum bis 1948 entstanden. Entscheidungen der
politischen Gremien der Stadt Fallersleben stellten
manche Bauvorhaben zurück, bis ein neuer Stadtbau-
plan vorlag. Immerhin befasste sich der Gemeindeaus-
schuss als Vorläufer des Gemeinderates bereits am
28. No­vember 1946 mit dem Thema „Neubauten“, und
im Gremium wurden Meinungen kund getan, sich auf
die Ausweisung von Baugrund­stücken vorzubereiten,
wenn die Bautätigkeit einsetzt. Es sollte versucht wer­
den, „Steine, Holz und anderes Baumaterial zu beschaf­
fen.“
2
Erste Anfänge des Wohnungsbaus sind für das
Frühjahr 1947 dokumentiert, als mit sogenannten
Hico-Häusern, einer Art von Behelfsheimen, auf dem
Rischfeld für 16 Familien Wohnungen geschaffen
werden sollten. Der Gemeindeausschuss forderte am
30. Dezember 1946, dass die dort unterzubringenden
Familien sich tatkräftig an der Erstellung der Häuser
beteiligten.
3
Einer Forderung des Baulenkungsamtes
beim Landkreis Gifhorn entsprach der Fallersleber Ge-
meinderat am 1. April 1947 und beschloss einstimmig
die Aufstellung eines neuen Stadtbebauungsplanes,
weil der noch vorhandene den eingetretenen Verhält-