Seite 140 - Fallersleben

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Ein „unentbehrliches Werk“
JOCHEN MARCKS
Mit der Erfindung des ersten Stromgenerators durch
Werner von Siemens im Jahre 1866 und der Entwick­
lung der ersten brauchbaren Glühlampe durch Thomas
Alva Edison im Jahre 1879 waren wichtige Voraus-
setzungen für die nun einsetzende stürmische Ver-
breitung der neuen, überall zu verwendenden Energie-
form „Elektrizität“ geschaffen.
Erste öffentliche Stromversorgungsanlagen ent-
standen in den Folgejahren in Stuttgart (1882), Berlin
(1884), Dessau und Lübeck (1886) sowie in Hamburg
und Darmstadt (1888). Für den Aufbau der Elektrizi-
tätsversorgung auf dem „flachen Lande“ fand sich
jedoch zunächst niemand, der das wirtschaftliche
Risiko übernehmen wollte. Geringe Bevölkerungs-
dichte und fehlende Industrie ließen die Stromversor­
gung aus damaliger Sicht in diesen Gebieten als un-
wirtschaftlich erscheinen.
In der Provinz Sachsen und den angrenzenden Ge-
bieten der Landkreise Gifhorn, Helmstedt und Wolfen-
büttel war es insbesondere die Landwirtschaft, die auf
die Einführung der elektrischen Energie drängte und
schließlich selbst das notwendige Kapital aufbrachte,
um fehlende menschliche Arbeitskräfte durch die neue
Energieform auszugleichen. Auf genossenschaftlicher
Basis entstand auf diese Weise in den Jahren 1907 bis
1909 in dieser Region eine ganze Reihe so genannter
„Überlandzentralen“, die mit dem Aufbau von Leitungs-
netzen begannen. Mitglieder der Genossenschaften
waren überwiegend die künftigen Stromkunden, aber
auch Gemeinden und Kreise.
Am 7. Februar 1911 schloss der „Magistrat zu
Fallersleben“ mit der Überlandzentrale Weferlingen
einen Vertrag mit 60-jähriger Laufzeit über die Er-
schließung und künftige Versorgung der Flecken-
gemeinde mit elektrischem Strom. Innerhalb weniger
Monate waren danach die notwendige Transformator-
station und das Freileitungsnetz errichtet, um erste
Ein „unentbehrliches Werk“: Zur Geschichte der LandE GmbH
Stromkunden in Fallersleben mit der neuen Energie zu
beliefern.
Recht bald zeigte sich, dass die Unternehmensform
der genossenschaftlichen Überlandzentralen der
steigenden Stromnachfrage und den gleichzeitig
wachsenden Anforderungen an die Versorgung auf
Dauer nicht gerecht werden konnte. Die Überland-
zentralen Weferlingen, Derenburg und Salzwedel
gründeten deshalb zusammen mit weiteren mittel-
deutschen Elektrizitätsgenossenschaften am 28. De­
zem­ber 1918 die Landelektrizität GmbH zu Halle/Saale
als gemeinsame Betriebsgesellschaft. In den folgenden
zwei Jahren übertrugen die einzelnen Überlandzen­
tralen zunächst die Betriebsführung ihrer Versorgungs-
anlagen auf die neue Gesellschaft und schafften damit
die Grundlage für den bedarfsgerechten und zukunfts-
weisenden Ausbau der Stromversorgung.
In der Zeit von 1930 bis 1932 brachten die Ge-
nossenschaften dann ihre gesamten Stromversorgungs-
anlagen und Betriebsgebäude in die neue Gesellschaft
ein. Ihr Vermögen bestand nun in der Beteiligung an
der „LandE“, wie das Unternehmen bald nur noch ge-
nannt wurde.
Mit rund 2.000 Mitarbeitern belieferte die Gesell-
schaft in ihrem Versorgungsgebiet, das 2/3 der Provinz
Sachsen, den Landkreis Gifhorn und Teile der Land-
kreise Helmstedt, Wolfenbüttel und Goslar umfasste,
2.155 Ortschaften mit etwa 182.000 Stromkunden. Die
Stadt Wolfsburg war zu dieser Zeit noch nicht ge-
gründet. Im Bereich der heutigen Kernstadt standen
damals die kleinen Bauerndörfer Heßlingen und
Rothenfelde, an deren Namen heute nur noch Straßen-
bezeichnungen in der Wolfsburger Innenstadt erinnern.
In Fallersleben betrieb die LandE auf dem Gelände der
heutigen Verwaltung Hinterm Hagen ein Umspann-
werk, das neben dem Fallersleber Umland auch den
gesamten Gifhorner Raum bis nach Wittingen im