Seite 52 - Fallersleben

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Die Michaelis-Kirchengemeinde
DIRK RIESENER
Spätmittelalterliche Bruchstücke
Nach ihrer frühen Erwähnung im 10. Jahrhundert
schweigen die Quellen für Jahrhunderte über die
Michaeliskirche. Im Spätmittelalter finden sich wieder
verstreute Informationen: Die Kirche gehörte zum
Archidiakonat Meine des Bistums Halberstadt;
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den
Zehnten hatten die Edelherren von Meinersen zu
Lehen;
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das Patronatsrecht lag zunächst bei den Herren
von Campe, die für einen Altar im „alten Werk“ einen
Hof mit zwei Hufen Land in „Mesetze“ stifteten, ab
1344 bei den Welfen.
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Auch einzelne Priester sind namentlich erwähnt,
ohne dass weiteres über sie zu erfahren wäre. Eine Ur-
kunde des Klosters Isenhagen enthält sowohl die erste
Erwähnung des Archidiakonats Meine als auch den
Namen eines Priesters in Fallersleben: 1265 musste der
Archidiakon Burchard in einem Streit zwischen Pfarrer
Renfried und seiner Gemeinde in Isenbüttel schlichten;
in der Zeugenliste erscheint „Iohannes plebanus in
Valersleve“.
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Die Amts- und Lehraufsicht über die Priester
des ‚Bannes‘, aber auch die Schlichtung von Streitig-
keiten, gehörten zu den Aufgaben eines Archidiakons.
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Steckhan zufolge wurde um 1300 ein Nachfolgebau
für die Kirche des Marco errichtet und 1474 umgebaut.
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Aus jener Zeit bewahrte die Gemeinde eine kleinere
Glocke mit 86 cm Durchmesser; sie musste 1942 dem
Militär abgeliefert werden.
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Nach den Zerstörungen
während der Hildesheimer Stiftsfehde ließ Herzogin
Clara 1551-52 die Kirche innen ausbauen, ihr Wappen an-
bringen und die Kirche von ihren Hofpredigern nutzen.
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Auf fürstlichen Befehl
Die Reformation im Fürstentum Lüneburg war für Her-
zog Ernst „den Bekenner“ (1520-1546) eine persön-
liche Angelegenheit. Durch sein Engagement nahm die
Reformation in seinem Land einen besonderen Verlauf:
Es war keine Volksbewegung, sondern eine Reform ‚von
oben‘. Ausgehend von Luthers Kritik an den Miss-
ständen in der Kirche führte er einen Wandel herbei,
der sowohl die Kirche auf ihre eigentlichen Aufgaben
zurückstutzte, als auch dem entstehenden Territorial-
staat nutzte. Es folgte die Einbindung der ‚Landes-
kirche‘ in den Territorialstaat, dessen Herrscher zu-
gleich Landesbischof war. Diese Konstruktion prägte
die hannoversche Landeskirche bis 1918.
Herzog Ernst war Mitunterzeichner des Augsburger
Bekenntnisses von 1530, trat dem Schmalkaldischen
Bund bei und führte mit Urbanus Rhegius, einem Theo-
logen vom Bodensee, die Reformation in seinem
Fürstentum durch. Ihn bewegten dabei religiöse ebenso
wie politische und finanzielle Interessen. Nach außen
schützte er militärisch die Reformation, nach innen
setzte er sie mit seiner Autorität durch, und der Kirche
Roms entzog er Vermögen, das sein hoch verschuldetes
Land dringend benötigte.
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Der erste Schritt zur Reformation im Fürstentum
war folgerichtig eine Gesamtaufstellung der Einkünfte
und Vermögen der Kirchen und Klöster.
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Dass in
Fallersleben nichts zu holen war, überraschte wohl
kaum; hier wurden nur die Namen des Priesters und
des Küsters vermerkt.
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Es ging Ernst auch weniger um
die Pfarrkirchen als vielmehr um das Vermögen der
reichen Klöster.
Den zweiten Schritt, die Reformation der Klöster,
führte der Herzog persönlich durch, denn deren
heftiger Widerstand war vorherzusehen. Die Kloster-
gemeinschaften wurden aufgelöst,
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geeigneten und
willigen Mönchen wurden Pfarrstellen vermittelt,
andere für soziale Dienste verwendet. Alten und kran­
ken Mönchen und Nonnen wurde der Verbleib im
Kloster gestattet. Entscheidend war das Verbot der Neu-
Die Michaelis-Kirchengemeinde – aus der Geschichte einer alten Superintendentur