Seite 65 - Fallersleben

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Fallersleben als Sitz des Amtes
Städte entvölkert hatte, wanderte ein großer Teil der
Landbevölkerung in die Städte ab und entzog sich dem
mittelalterlichen Fronsystem. Höfe und ganze Dörfer
wurden verlassen und ‚fielen wüst‘.
Während die Einnahmen der Lehnsherren aus
ihrem Landbesitz schwanden, wurden die Städte durch
Handwerk und Handel reich. Ihre Bürger waren
persönlich frei und keinem Adligen mehr untertan
(„Stadtluft macht frei“).
Um die Landflucht zu stoppen, kamen im stark
urbanisierten Westdeutschland die Grundherren den
Bauern entgegen und verliehen ihnen größere Rechte.
In Nordwestdeutschland hielt das Meierrecht Einzug:
Die Höfe wurden den Bauern vom Grundherrn erblich
verliehen, sie durften im Erbfall nicht geteilt, sondern
nur als Ganzes an den ältesten Sohn (‚Anerbe‘) vererbt
werden, und sie durften nicht beliehen werden. Nur in
Ausnahmefällen konnte der Grundherr einen Bauern
‚abmeiern‘ und dessen Hof wieder einziehen. Im Gegen­
zug war der Bauer dem Grundherr zu Diensten und
Abgaben verpflichtet.
Mit Hilfe der Hand- und Spanndienste seiner
Bauern konnte der Grundherr seine eigenen Ländereien
bewirtschaften und deren Erträge, zusammen mit den
Abgaben der Bauern, gewinnbringend in die Städte ver­
kaufen. Diese Tätigkeit eines ‚Agrarunternehmers‘ wur­
de zur Hauptaufgabe des Amtmanns in den folgenden
Jahrhunderten.
Die Aufgaben des Amtmanns
Zu den ersten Pflichten eines Amtmanns bei seinem
Amtsantritt zählte die Aufstellung eines genauen In­
ventars über die Bestandteile des Amtshaushalts und
deren Wert. Nicht nur das Geschirr wurde gezählt,
auch die Einhaltung der Verpflichtungen der Bauern
wurde überprüft und in Erinnerung gerufen. Und
schließlich sollte der Amtmann jährlich die Grenzen
des Amtes zu den Nachbarn abgehen, um sicherzu­
stellen, dass keine Grenzsteine verrückt worden waren.
Diese ‚Schneede‘ genannte Grenzabschreitung führte
denn auch gelegentlich zu Streitigkeiten unter benach­
barten Amtleuten.
Für diese hoheitlichen Aufgaben hatte der Amtmann
Karten des Amtes zu halten und Bücher zu führen. Die
verschiedenen ‚Register‘ erfassten die Bevölkerungs-
und Haushaltszahl, die Abgaben und Dienste der Höfe,
die Abgaben der Müller und Schäfer, die Gerichts­
gebühren, die Zolleinnahmen, das Schutzgeld der
Juden und landlosen Häuslinge sowie die Steuern. Über
die Einnahmen und Ausgaben des Amtshaushalts, also
der Eigenwirtschaft, musste natürlich auch Buch ge­
führt werden.
Der Finanzverwaltung des Fürsten, der Kammer,
hatte der Amtmann jährliche Bilanzen vorzulegen. Der
Finanzplanung des Landes dienten halbjährliche Ein­
nahmeschätzungen und vierteljährliche Bilanzauszüge.
Diese so modern anmutende Finanzverwaltung wurde
indes immer wieder von „Unordnung, Nachlässigkeit
und Unfleiß“ (so die Kammer noch 1791) einzelner Be­
amter bei der Führung ihrer Bücher behindert.
Die Grenzlage des Amtes Fallersleben ließ die
Kammer auf große Einnahmen aus den Ein- und Aus­
fuhrzöllen hoffen, doch erwies sich der verbreitete
Schmuggel mit hoch besteuerten Waren den Zoll­
fahndern der Kammer (‚Landreiter‘) überlegen.
Die wichtigsten Einnahmen stammten jedoch aus
der Grundherrschaft. Jedes Jahr zog der Amtmann bei
den Bauern den Zehnten des Ertrages der Äcker,
Wiesen und Weiden ein und lagerte ihn in der gewal­
tigen Zehntscheune ein. Bei der Übertragung eines
Hofes erhob er Erbenzinsen. Außerdem kassierte er
pro Haushalt und Jahr ein ‚Rauchhuhn‘. In Fallersleben
kamen so jedes Jahr 440 Hühner oder deren Geldwert
zusammen.
Ein aus dem Mittelalter überkommenes Recht des
Amtmannes als Grundherr war die ‚Kruggerechtigkeit‘.
Nicht nur konzessionierte er – gegen Abgaben – die
Krüge im Amt, er verpflichtete die Krüger auch, das
auf dem Amt gebraute Bier anzubieten. Dieses Recht
galt trotz aller Proteste bis ins 19. Jahrhundert und ver­
Grundriss der Wohnung des Drosten im
Schloss Fallersleben, um 1765. Der Drost
verfügte über das Kellergewölbe (A) mit
der Küche, dem Speise-, Wein- und
Bierkeller. In der ersten und zweiten Etage
besaß er sechs Stuben, sechs Kabinette,
zehn Kammern und einen Salon.