Seite 74 - Fallersleben

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August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
KURT G. P. SCHUSTER
Er ist allgegenwärtig in Fallersleben: „Willkommen in
der Hoffmannstadt!“ begrüßt sein Porträt den An­
kommenden am Ortseingang, man fährt über die Hoff­
mann­straße, kauft beim Stadtbäcker ein Hoffmannbrot,
besucht die Hoffmann-von-Fallersleben-Realschule,
informiert sich im Hoffmann-Museum, speist im Hoff­
mann-Haus, das sein Elternhaus und schon damals ein
Gasthaus war, man steht im Hof vor seinem Denkmal,
das Brauhaus schenkt ein Hoffmann-Bier aus, die Ge­
schäftswelt feiert einen Hoffmann-Sonntag, natürlich
verkaufsoffen, die Hoffmann-Gesellschaft verleiht alle
zwei Jahre den „Hoffmann-von-Fallersleben-Preis für
zeitkritische Literatur“, sie hat eine Hoffmann-von-
Fallersleben-Stiftung gegründet und unterhält mit
seinem Namen ein Archiv und eine Studienstätte, ein
Chor und ein Lions-Club nennen sich nach ihm. Wer
war der Mann, dessen Name mehr als zweihundert
Jahre nach seiner Geburt so viele Einrichtungen
schmückt – und das nicht nur in seiner Vaterstadt?
Geboren 1798 in Fallersleben, gestorben 1874 in
Schloss Corvey, spannt sein Leben den weiten Bogen
vom tausendjährigen Alten Reich in das neue,
wilhelminische Kaiserreich, und er hat darin seine
Spuren hinterlassen als Dichter, als Gelehrter und als
politischer Agitator. Nur die ersten 14 Jahre seines
Lebens verbrachte er in Fallersleben. Später, als Helm­
stedter und Braunschweiger Gymnasiast, als Student
in Göttingen und Bonn, als königlich preußischer
Professor, als von der hannoverschen Polizei verfolgter
politischer Liedermacher, kam er nur noch in den
Ferien oder auf der Durchreise nach Hause. Und doch
wird man finden, dass er die entscheidenden Prägungen
für sein Leben in diesen frühen Jahren in Fallersleben
erfahren hat: In den ersten Lebensjahren kränkelte er
viel und wurde folglich von seiner aus Wittingen
stammenden Großmutter verwöhnt und verzogen, ver­
ständlich vielleicht, wenn man bedenkt, dass von den
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben – Eine biographische Skizze
zehn Kindern der Familie nur vier heranwuchsen,
nachteilig aber, weil man darin wohl den Grund für
seine starke Selbstbezogenheit sehen muss: Als ihn
1819 in Magdeburg die Nachricht erreichte, dass der
Vater im Sterben lag, überlegte er: „ich fühlte, dass
meine ganze Zukunft in Frage gestellt wäre, wenn ich
nach Hause zurückkehrte, denn war der Vater wirk­
lich tot, so hätte ich die Meinigen nicht wieder ver­
lassen können. So schwer die Wahl war, so musste ich
mich doch für die Weiterreise nach Bonn entscheiden.“
Fallersleben hätte am Wege gelegen.
Als er einmal seine Kinderkrankheiten überwunden
hatte, folgten Jahre einer nicht unbeschwerten, er­
eignisreichen, geradezu abenteuerlichen Jugend in der
kleinen Stadt, die vom Hin und Her der Soldaten, vom
politischen Auf und Ab der napoleonischen Kriege nicht
verschont blieb. Gärten und Ställe des Elternhauses
und der Nachbarn boten Gelegenheit zu genauer Natur­
beobachtung, Vögel wurden gefangen und gehalten,
Pflanzen gezogen und veredelt, Jahre später als
Student hat er einem Vetter eine Anzahl damals selbst
veredelter Bäume für gutes Geld verkaufen können.
Seine Kinderlieder werden Zeugnis ablegen von der
intimen Kenntnis der Natur, die der kleine Junge in
Fallersleben erworben hat. In den 60er Jahren noch
legte er für seinen kleinen Sohn Franz ein Herbarium
mit präzisen Bezeichnungen an. Das Museum im
Schloss zeigt Beispiele daraus.
Die wichtigsten Eindrücke aber hängen zusammen
mit dem großen europäischen Kriegsgeschehen.
Franzosen, Preußen, Schweden zogen seit dem Sommer
1803 durch das hannoversche Fallersleben bis für
einige Jahre wieder Ruhe einkehrte, nachdem
Napoleon Ende 1805 in der Schlacht von Austerlitz die
Österreicher und im folgenden Jahr bei Jena und Auer­
stedt die Preußen besiegt hatte. Der kleine Ort gehörte
nun zum neu gegründeten Königreich Westfalen unter