Seite 96 - Fallersleben

Basic HTML-Version

242
Ein Standbein der landwirtschaftlichen Veredelungsindustrie
WERNER STRAUSS
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte zu einer Zeit,
in der die Landwirtschaft noch der dominierende Wirt­
schaftszweig war, in Fallerleben die Gründung einer
Molkerei. Fortschritte in der Viehzucht hatten über das
ganze 19. Jahrhundert hinweg erhebliche Erfolge in
der Fleischerzeugung und Milchproduktion erbracht.
Lag um 1800 die durchschnittliche Jahres-Milcherzeu­
gung pro Kuh noch bei 860 Kilogramm, war diese 100
Jahre später auf 2.000 Kilogramm angestiegen. Dies
entsprach einer Steigerung von über 232 Prozent, noch
günstiger verhielt es sich mit der Fleischpro­duktion in
der Rindviehhaltung.
Diese wirtschaftlichen Erfolge gründeten sich zum
Teil auf die bessere Futterversorgung der Tiere, da nach
den Agrarreformen um die Mitte des 19. Jahrhunderts
und durch die Verwendung von Düngemitteln auch die
Hektarerträge der Ackerflächen und der Ertrag aus der
Wiesennutzung gestiegen war. Ausgebaute Verkehrs­
anbindungen durch das entstandene Eisenbahnnetz
verbesserten die Zulieferung von Düngestoffen und die
Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte.
Vor diesem Hintergrund eröffnete der Fallersleber
Maurer- und Zimmermeister Richard Kausche neben
einem Sägewerk 1897 auch eine kleine Molkerei.
Produktionstechnisch miteinander verzahnt wurden
beide Betriebe durch die gleiche Dampfmaschine an­
getrieben.
Die geschäftliche Grundlage der Molkerei erhielt
eine neue Form durch die Gründung einer bäuerlichen
Genossenschaft für die „Central-Molkerei Fallersleben
eGmbH“ am 17. Dezember 1897. Auf diese Genossen­
schaft wurde der Betrieb übertragen, während Kausche
auch sein Sägewerk aufgab. Der Gründungsversamm­
lung gehörten neben Fallerslebern zahlreiche Bauern
aus dem Umland Fallerslebens an – ein Beispiel für die
Zentralität des Fleckens. Im Jahre 1900 lag die jähr­
liche Milchanlieferung bei 2 Mill. Kg. Bis 1937 hatte
sich dieses Volumen mit 3,7 Mill. kg nahezu verdoppelt,
doch brachte die Zeit des 2. Weltkrieges deutliche Ein­
schränkungen in der zu verarbeitenden Milchmenge.
Die Milchindustrie war durch zahlreiche Produk­
tionsstätten in ländlichen Gebieten ursprünglich klein­
teilig angelegt, was Raum für Kooperationen und Zu­
sammenschlüsse gab. So verschmolz die Molkerei
Fallersleben im Zeitraum bis 1960 mit den Molkereien
Allerbüttel und Heiligendorf. Der Einzugsbereich des
Fallersleber Betriebes erstreckte sich noch 1950 auf
folgende Ortschaften: Fallersleben, Sandkamp, Mörse,
Sülfeld, Bokensdorf, Ehmen, Allerbüttel, Allenbüttel,
Calberlah, Wettmershagen, Edesbüttel, Brunsbüttel,
und Flechtorf. Selbst in den unmittelbaren Nachkriegs­
jahren war die angelieferte Milchmenge weiter zurück­
gegangen.
Erst um 1950 erholte sie sich erheblich und setzte
1952 mit 6,3 Mill. kg eine neue Höchstmarke.
Durch die Ausweitung des Betriebes der Molkerei
und die Steigerung der Produktionsmengen waren fort­
laufend bauliche ErweiterungenunddieModernisierung
des Maschinenparks erforderlich.
Ein erster größerer Umbau wurde 1936 durch­
geführt, dem 1949 weitere An- und Umbauten sowie
die durchgehende Erneuerung der maschinellen An­
lagen folgten. Zu den Großkunden im Absatzgebiet
zählte auch das Volkswagenwerk in Wolfsburg, und ein
beträchtlicher Teil des Bedarfs an Trinkmilch wurde
in die benachbarte entstehende Großstadt geliefert.
Den Bedürfnissen der Kunden entsprechend erweiterte
die Molkerei ihre geschäftliche Basis 1956 mit dem Bau
eines Kühlhauses für das Einfrieren und Haltbar­
machen von Lebensmitteln und der Inbetriebnahme
einer Kartoffeldämpfanlage für landwirtschaftliche
Nutzer.
Konkurrenzdruck und fortschreitende Rationa­
lisierung in der agrarwirtschaftlichen Industrie führten
Ein Standbein der landwirtschaftlichen Veredelungsindustrie: Die Molkerei