Seite 16 - Herzog_Heinrich

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II
Zu Leer – 24. Juni 1514
Das Totenamt zelebriert, Herz und Innereien des Verstorbenen auf dem Gottes-
acker von Leer begraben, Kirchenglocken verklungen, gestern noch gefürchte-
te Feinde vom Rat der Stadt zuvorkommend bewirtet, verlassen vier der Trau-
ergäste unauffällig das Gelage.
Drei von ihnen, Herzog Erich von Braunschweig-Calenberg, seine beiden Nef-
fen Erzbischof Christoph von Bremen und Herzog Heinrich der Jüngere von
Braunschweig-Wolfenbüttel, finden sich in des Letzteren Schlafkammer ein.
Der vierte, Konrad von Steinberg, wacht unter der Stiege des Leerer Bürger-
hauses. So ist man oben vor Lauschern sicher.
‘Hier sollten wir eine Weile ungestört sein. Die anderen werden ihren Rausch
ausschlafen. Bier und Wein sind reichlich geflossen. Johann hat den Kriegsrat
erst auf die sechste Stunde ins Rathaus einberufen – vorsorglich. Der von Ol-
denburg macht seine Sache nicht schlecht. Auch wenn er sich die Führerschaft
selbst angemaßt hat, sollten wir sie ihm zubilligen. Sonst kommt unser Lüne-
burger Vetter noch auf den Gedanken – –‘
‘– – der will nach Hause, wie man hört.’
‘Umso besser – ihm ist nicht über den Weg zu trauen!’
‘Kommen wir zur Sache,’ Heinrich zeigt Ungeduld, ‘was ist zu tun? Am liebs-
ten würde ich gleich verzichten. Wir sollten euch, Oheim Erich, die Herrschaft
in unseren Landen überlassen. Mir fehlt eure Erfahrung. Ich bin gänzlich
unvorbereitet. Vater hat mir keinen Einblick gegeben – nie einen Gedanken an
seinen baldigen Tod verschwendet!’
Erich von Calenberg schüttelt den Kopf: ‘so einfach kannst du dich nicht aus
der Verantwortung stehlen, Heinze! Halte dich an unsere Verträge und Abma-
chungen. Dein seliger Vater – –‘
‘– – hat mir, dem Erstgeborenen, wie unseren Brüdern Franz, Georg und Erich
seine Nachfolge verwehrt’, unterbricht Christoph hitzig, ‘uns beizeiten abge-
schoben in geistliche Ämter. Zu deinem Vorteil, Heinze – –‘
‘– – und dem euren! Habt ihr so nicht ein schöneres Leben und kaum Sorgen?
Doch lasst hören, Oheim, wie die Verträge lauten. Mir ist nicht bekannt, dass
meine Rechte und Pflichten als alleiniger Nachfolger schriftlich niedergelegt,
unterzeichnet und besiegelt wurden.’
Der Angesprochene glättet die Wogen, ‘bewahrt die Ruhe, Neffen, und brecht
keinen Streit vom Zaun. Hört mich an, auch wenn es etwas länger dauern sollte.
Seit den Tagen unseres großen Ahnen Heinrich, den sie den Löwen nannten,
gibt es nur ein einziges welfisches Herzogtum: Braunschweig-Lüneburg. Immer
aufs Neue zerstückelt, verblieb eurem Großvater Wilhelm der braunschwei-
gische Teil, nicht mehr als ein bloßes Fürstentum. Der Querelen mit seinem Bru-