Seite 43 - Herzog_Heinrich

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IX
Prozesse, Aufstände, Bünde, Zerwürfnisse und
Herzensangelegenheiten – 1523 bis 1535
Am 15. Juni 1523 lässt der Herzog seinen Kanzler fallen. In Königslutter unter
Hausarrest gestellt, wird Johann Peyn erwiesener Untreue und Bestechlichkeit
bezichtigt. Heinrich genügt zunächst die schlichte Behauptung, denn an stich-
haltigen Beweisen fehlt es ihm. Solche fördert auch das peinliche Verhör der
Frau Peyn nicht zu Tage. Über ihre Vernehmung lebenslang zu schweigen,
nach ihrer Freisetzung in ein Kloster einzutreten, verspricht sie unter der Fol-
ter, hält die Zusage trotz erlittener Schmach und Körperlähmung ein. Obwohl
sich die Schuldlosigkeit des Kanzlers während des folgenden Prozesses immer
mehr erweist und Erich von Calenberg ein gutes Wort für ihn einlegt, bleibt
Johann Peyn die Rückkehr in sein Amt verwehrt. Der biedere Mensch genügt
Heinrichs Anforderungen einfach nicht mehr. Ein rechtskundiger Diplomat
muss her, wie Erzherzog Ferdinand es ihm geraten hatte.
Des Herzogs neuer Mann heißt Conrad König. Schon als Ratssyndikus der
Stadt Braunschweig hat er Wolfenbüttel gegen Ende der Stiftsfehde wertvolle
Dienste geleistet. Der kluge und scharfzüngige Jurist ist Heinrich jetzt unent-
behrlich. Dem Doktor beider Rechte, des römischen wie deutschen, gesteht er
den Rang eines adeligen Rates zu.
Nun gilt es, sich auch des lästigen Bruders zu entledigen. Wilhelm schleicht
nach seiner Befreiung nörgelnd in Wolfenbüttel herum, klagt Heinrich man-
gelnder Fürsorge während der Haftzeit an, pocht auf seine Rechte. Um den
Aufsässigen loszuwerden, greift Heinrich tiefer in die Staatskasse, als er
eigentlich verantworten kann. Damit Wilhelm irgendwo in der Welt eine eige-
ne Existenz begründen kann, schickt er ihn mit reichlich Geld und ehrenvollen
Aufträgen in die Ferne.
Auch aus einem sehr persönlichen Beweggrund kann Heinrich den Bruder
jetzt nicht in Wolfenbüttel gebrauchen. Seine Residenz ist ihm plötzlich lieb
geworden. Auffallend häufig sieht man ihn die Gemächer seiner Gemahlin
betreten und erst nach geraumer Zeit mit glücklicher Miene wieder verlassen.
Was ist geschehen? Ist es Maria nach der Geburt einer gesunden Tochter glei-
chen Namens und zwei weiterer Söhne doch noch gelungen, ihren unruhigen
Ehemann an sich zu fesseln? Die beiden Knaben, Johann und Joachim, sind
während seiner ständigen Abwesenheit im zarten Alter gestorben. Macht er
sich Vorwürfe, seine Frau vernachlässigt zu haben? Weit gefehlt. Von einer ent-
stellenden Hauterkrankung befallen, reizt sie ihn weniger denn je. Nur wider-
willig macht er ihr seine tägliche Aufwartung, wie es Takt und Staatsräson
erfordern. Denn noch immer hat er keinen leiblichen Erben. Stößt ihm etwas
zu, wird Wilhelm regierender Herzog. Ein schrecklicher Gedanke.