Seite 7 - Herzog_Heinrich

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Das Mittelalter ist tot – es lebe die Neuzeit?
Nein – ganz so schnell ging es wohl nicht. Auch wenn manch einer gern mit
dem Stichjahr 1492 aufwartet: weil da Christoph Kolumbus die neue Welt ent-
deckt und seine Sponsorin Isabella von Kastilien mit ihrem Ehemann Ferdi-
nand von Aragón nur wenige Monate vorher den Islam aus Granada vertrie-
ben hatte.
Doch nicht weniger nachhaltig waren andere Strömungen und Ereignisse
sowie ihre Wegbereiter, die von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis
weit hinein in das Sechzehnte den Übergang in ein neues Zeitalter gestalteten.
Bevor noch Kolumbus im Namen Spaniens den Atlantik nach Westen über-
querte, umsegelte der Portugiese Bartholomäus Diaz 1487 die Südspitze Afri-
kas. Sein Landsmann Vasco da Gama fand 1498 den Seeweg nach Indien.
Was auf der iberischen Halbinsel im Westen Europas an orientalischer Kultur
verloren ging, ersetzten auf dem Balkan moslemische Eroberer auf ihre Weise.
1521 eroberte der Osmanische Sultan Suleiman II. Belgrad. Nur fünf Jahre
später verlor Ungarn seine Selbstständigkeit. 1529 standen die Türken das
erste Mal vor Wien.
Von Italien breitete sich der Frühkapitalismus aus. Als Bankiers von Päpsten,
Kaisern und Fürsten verhalfen die Augsburger Fugger seit Beginn des 16. Jahr-
hunderts der Geldwirtschaft zum Durchbruch. Anton Fugger (1525-1560)
besaß Handelskonzessionen in Chile, Peru und Moskau.
Der Humanismus brach der freien geistigen Entfaltung des Menschen Bahn.
Als international berühmter Gelehrter suchte Erasmus von Rotterdam (1467-
1536) den Ausgleich zwischen kosmopolitischer Gesinnung und christlicher
Frömmigkeit.
Durch Päpste, Kaiser und andere Potentaten wie Lorenzo de’ Medici, ‘il Mag-
nifico’, in Florenz gefördert, steigerte sich in den schönen Künsten das italie-
nische Quattrociento zur Hochrenaissance des 16. Jahrhunderts.
Gegen die Missstände innerhalb der katholischen Kirche unter den Renaissance-
päpsten, insbesondere den Ablasshandel, leitete Martin Luther 1517 zu Witten-
berg mit seinen 95 Thesen die Reformation ein.
Philipp Melanchthon (1497-1560) war um eine Synthese von humanistischer
Gesinnung und christlicher Frömmigkeit bemüht.
Wachsender Wohlstand in den Städten, Verbreitung der Buchdruckerkunst,
Gründung neuer Schulen und Universitäten förderten bald die Entstehung
eines gebildeten Bürgertums, dem auch Angehörige des Ritterstandes nachei-
ferten. Dem gleichen Nährboden entwuchs ein selbstständiger Stand juristisch
geschulter Verwaltungsbeamter. Rechtsprechung nach ‘altem Herkommen’
wurde zunehmend durch römisches Recht ersetzt – der Sachsenspiegel wich
den Pandekten.
Dieser Entwicklung trug auch die Politik Rechnung: 1495 verkündete der
Reichstag zu Worms den ‘Ewigen Landfrieden’. Zur Beseitigung des Fehde-
rechtes wurde das ständig tagende Reichskammergericht als oberste Rechtsin-
Einführung