Seite 5 - KZ_Aussenlager_Schillstr

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Einleitung
1957 verlangte Adolf Diamant, ehemaliger Häftling im KZ-Außenlager Schillstraße,
Unterkommando Vechelde, von der Firma Büssing Nutzkraftwagen GmbH, ihm eine
Bescheinigung über seine für die Firma geleistete Zwangsarbeit auszustellen. In der aus-
gestellten Bescheinigung stand, dass für seine Arbeit Geld an das KZ Neuengamme über-
wiesen worden sei. In der Folge strengte Diamant einen Prozess gegen Büssing an: Er
forderte von der Firma „eine Vergütung für seine [von Mitte September 1944 bis Ende
März 1945] außerhalb eines Arbeitsverhältnisses geleistete Tätigkeit“. Am 20. Juni 1965
verkündete das Amtsgericht Braunschweig das Urteil
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: Die Büssing GmbH wurde zur
Zahlung einer Vergütung verpflichtet. Ihre Höhe wurde vom Gericht wie folgt berechnet
und begründet: Adolf Diamant habe insgesamt 1778 Arbeitsstunden geleistet. Unter den
kriegsbedingten Lohnkontrollen hätte der Stundenlohn eine Reichsmark betragen.
Darum erwachse dem Kläger ein Verdienst von 1778 RM. Diese Summe sei auf Grund der
Währungsreform im Verhältnis 10:1 in DM umzurechnen, d.h. dem Kläger stünden
177,80 DM zu. Das Urteil wurde rechtskräftig
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und bedeutete das Ende der gerichtlichen
Auseinandersetzung mit nur einem der ehemaligen KZ-Häftlinge, von deren Arbeit Büs-
sing profitierte.
Im Folgenden werden die Umstände der Einstellung der KZ-Häftlinge durch die
Firma Büssing als auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Häftlinge im KZ-
Außenlager Schillstraße dargestellt.
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Amtsgericht Braunschweig, Geschäftsnummer: 13 C 566/64. Eine Kopie des Urteils hat der Autor von Axel
Richter erhalten.
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Richter, Axel: Das Unterkommando Vechelde des KZ Neuengamme. Zum Einsatz von KZ-Häftlingen in
der Rüstungsproduktion, Vechelde 1985 (weiter: Richter, Unterkommando), S. 64ff. Es sind noch drei
weitere ehemalige KZ-Häftlinge bekannt, die sich mit der Forderung auf Ausgleichszahlungen an die Fa.
Büssing wandten: Leo (Lejb) Kostam (Konstan) und Abra(ha)m Hochmann, in: Ferencz, Benjamin: Lohn
des Grauens. Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter, New York 1981, S. 214, zit. nach
Richter, Unterkommando, S. 64, sowie Henry(k) Kinas aus Paris (s. Anm. 144). Sie haben auf einen Prozess
verzichtet.
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Vgl.: Liedke, Karl/Zacharias, Elke: Das KZ-Außenlager Schillstraße. Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen
bei der Fa. Büssing, Braunschweig 1995 (weiter: Liedke/Zacharias: Schillstraße). Neue Erkenntnisse und
notwendige Korrekturen wurden berücksichtigt bzw. vorgenommen in: Liedke, Karl: „Arbeitseinsatz“
łódzkich ˙Zydów w fabryce samochodów cie ˙zarowych „Büssing“ w Brunszwiku w latach 1944-1945, in:
Acta Universitatis Wratislaviensis No 2207, Studia nach Faszyzmen i Zbrodniami Hitlerowskimi XXIII,
Wrocław 2000, S. 289-319, und ders.: Destruction Through Work: Lodz Jews in the Büssing Truck Fac-
tory in Braunschweig 1944-1945, in: Yad Vashem Studies XXX, Jerusalem 2002, S. 153-187 (der gleiche
Text dort auch auf Hebräisch). Der letzterwähnte Text erschien auf Deutsch in: Fiedler, Gudrun/Lud-
ewig, Hans-Ulrich (Hrsg.): Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939-1945,
Braunschweig 2003, S. 217-236. Der vorliegende Text ist die neueste Version der Lagergeschichte und
schließt, zusammen mit den im Anhang präsentierten Dokumenten und Archivalien, weitere Lücken.