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Kapitel 3
Wirtschaftliche Entwicklung im Herzogtum
zwischen
1848
und
1900
Noch sind Verständnis und Folgenabschätzung bei den meisten Bürgern über die
Vergrößerung der Europäischen Gemeinschaft, die weltweite Vernetzung von
Wirtschaftssystemen und die globale Zusammenarbeit großer Unternehmungen wenig
ausgeprägt; man vertraut jenen, die scheinbar sachverständig und selbstsicher darüber
referieren und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme zumeist verniedlichen.
Zweifellos besteht die Gefahr, dass mit der Globalisierung und mit den inländischen und
internationalen Fusionen in der Regel wegen der verringerten Zahl der Anbieter und
infolge der Konzentration der Marktmacht einerseits, eine Reduzierung des
Wettbewerbsdruckes, und andererseits höhere Preise zu Lasten der Volkswirtschaften
und ihrer Bürger verbunden sein werden, jedenfalls soweit der Markt, der ja in diesem
Sinne präpariert worden ist oder werden soll, das hergibt, und die Kartellbehörden arglos
bleiben. Aber auch mittelständischen Marktteilnehmern wird in vielen Fällen durch
fusionierte Großfirmen mit Produktionen in Niedriglohn-Ländern und durch über-
wiegend abgestimmtes Verhalten
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der kreditgebenden Banken das Überleben erschwert
werden. Gleichzeitig ist eine schleichende Entmachtung des Staates und seiner
demokratischen Parteien zu befürchten. Die Frage, ob Konzerne ihren Hauptsitz, ihre
wichtigsten Produktionsstätten, ihre Investitionsschwerpunkte – und damit ihre
Steuerzahlungen – in dieses oder jenes Land verlegen, ist volkswirtschaftlich von so
großer Bedeutung, dass die Erpressbarkeit staatlicher Stellen in Einzelfällen nicht von
der Hand zu weisen sein wird. Allerdings wird in diesem Zusammenhang niemals von
„Erpressung” die Rede sein, sondern nur von Marktkräften, denen man sich wegen der
Erhaltung vorhandener Arbeitsplätze nicht entziehen könne und im Zeitalter der
Gewinnoptimierung müsse doch jedermann derartige Zwangsläufigkeiten des
Wettbewerbs begreifen und verstehen. Das von allen politischen Parteien Niedersachsens
verteidigte VW-Gesetz und das Verhalten des Hamburger Senats anlässlich des Wechsels
des Hauptaktionärs bei der Firma Beiersdorf AG belegen aktuell die Sorgen der
jeweiligen Regierung über eine mögliche Verlegung der Entscheidungszentren.
Es darf nicht übersehen werden: Staaten unterliegen gleichermaßen dem globalen
Wettbewerb und der lässt sich auf Dauer auch nicht durch zwischenstaatliche
Absprachen – etwa über Mindeststeuersätze und Mindestlöhne – oder polizeiliche
Maßnahmen aufhalten oder gar abschaffen. Nur wer der Wirtschaft günstige