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Peter A lbrecht
kone mussten alle Ein- und Ausgaben schriftliche aufzeichnen. Die Prüfung geschah
durch einen Vertreter des Rates und einen besonderen Bürgerausschuss, welcher das
Finanzwesen der Stadt zu beaufsichtigen hatte, den sogenannten „Zehnmännern“.
Die Ordnung unterschied zwischen „rechten Armen“ und „Landlöpern“. Die letzteren,
die Faulenzer und Müßiggänger, müsse man zwar auch unterstützen, aber man müs-
se einen Unterschied machen und diese nicht in ihrem Lebenswandel noch fördern.
Die Gaben sollten sich nach den Bedürfnissen der Armen richten, und von etwaigen
Überschüssen sollten Vorräte für schlechte Zeiten angeschafft werden. Die Bettelei
sollte nur noch bis „disse casten in den swank kumpt“ erlaubt sein. Die Hospitäler, Stif-
tungen, usw., sollten auch dem „gemeynen casten“ angeschlossen werden. Außer-
dem durften in die Spitäler der Stadt keine Leute für Geld aufgenommen werden, so
sollten den ärmeren Bürgerinnen und Bürgern die Plätze erhalten bleiben. Der Neu-
bau eines Pestkrankenhauses war ebenfalls geplant. Für die Zeitgenossen waren die
hier getroffenen Regelungen mehr als ungewöhnlich. Armenversorgung wurde hier
als eine Gemeinschaftsaufgabe angesehen, bei der „Kirchengemeinde“ und „politi-
sche Gemeinde“ Hand in Hand arbeiten sollten. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wur-
de eine Administration installiert, der letztlich alle bestehenden Einrichtungen, also
vom Beginenkonvent bis hin zu den Waisenhäusern, untergeordnet wurden. Zur Fi-
nanzierung wurde eine bemerkenswerte Zahl von Einnahmemöglichkeiten eröffnet,
deren Erträge alle in eine zentrale Kasse fließen sollten.
Die Sache war so gut geplant, dass man bei der Neuordnung des Armenwesens in der
Mitte des 18. Jahrhunderts auf diese Gedanken zurückgreifen konnte, doch zunächst
scheiterte der Gemeine Kasten. Man hatte ganz offensichtlich die Kosten unterschätzt,
auch ging als Folge der Verwerfung des Gedankens der Werkgerechtigkeit die Spen-
denfreude zurück. Allerdings war man auch den mit der Armenversorgung einherge-
henden organisatorischen Problemen nicht gewachsen. In der Stadt Braunschweig
kehrte man wieder zur Organisation des Bettels zurück, Bettelvögte wurden wieder
angestellt und man mühte sich, die „würdigen“ Armen von den anderen zu scheiden
und, selbstverständlich, die Fremden aus der Stadt und aus dem Lande zu jagen. Und
wieder gab es solche, die nur dann Geld erhielten, wenn sie mit durch die Straßen der
Stadt zogen und andere, die davon befreit waren; und, wie könnte es in einer ständi-
schen Gesellschaft anders sein, einige bekamen mehr als die große Masse. Zahlreich
die Edikte, mit deren ziemlich gleich bleibenden Bestimmungen die Bettelei verhin-
dert und die Ausgaben gesenkt werden sollten.
Nach dem für die Stadt Braunschweig gegebenen Vorbild sollte das Armenwesen im
gesamten Fürstentum gestaltet werden, wie die Kirchenordnungen von 1543 und 1569
belegen. Gerade letztere enthält überaus differenzierte Maßnahmen, mit denen man
die Probleme in den Griff bekommen wollte. Der weitere Verlauf entspricht jedoch