Di e mi t te l a l ter l i che K i rche im Braunschwe i ger Land
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allerdings im späten Mittelalter auch zu Konflikten führen musste. Daher wurde die
seit dem 14. Jahrhundert bestehende und nur einige Kilometer südlich von Braun-
schweig gelegene kleinere Stadt Wolfenbüttel ab 1432 zur Residenzstadt der Herzöge.
Und so hieß das Herzogtum danach schließlich „Fürstentum Braunschweig-Wolfen-
büttel“. Erst seit 1753 residierte der Hof wieder in Braunschweig. Aber das Konsisto-
rium (später „Landeskirchenamt“) blieb in Wolfenbüttel, und das Herzogtum behielt
seinen Namen „Braunschweig-Wolfenbüttel“.
Die Dynastie der Welfenherzöge hatte dann auch von 1235 bis zum Ende des landes-
herrlichen Kirchenregiments die kirchlichen Geschicke in der Braunschweigischen
Landeskirche bestimmt. Das Fürstengeschlecht der Welfen gehörte bis zur Abdan-
kung von Herzog Ernst August am 8. November 1918 überhaupt zum ältesten regieren-
den Hause in Deutschland (mit Mecklenburg). Ernst August starb 1953, und es war
eine bewegende Stunde, als im Dom St. Blasii die Braunschweiger Pfarrer unter Füh-
rung von Landesbischof Martin Erdmann hinter dem aufgebahrten Herzog standen
und von dem letzten ‚Summus episcopus‘ ihrer Landeskirche im Gottesdienst Ab-
schied nahmen. Herzogin Victoria Luise, Tochter Kaiser Wilhelms II., lebte danach
noch lange in Braunschweig und nahm regen Anteil an ihrer evangelisch-lutheri-
schen Kirche. Dagegen berufen sich ihre mit dem europäischen Hochadel verbunde-
nen Nachfahren nur noch auf die Hannoversche Herkunft ihrer Familie, weil dieses
Welfengeschlecht tatsächlich seit 1635 als „Neues Haus Lüneburg“ dort regierte und
seit 1692 eine Abstammung von kurfürstlichen und seit 1814 von „königlichen“ Vorfah-
ren geltend machen kann.
Die nach dem Mittelalter kleiner gewordene Braunschweigische Kirche ist seit dem
19. Jahrhundert gewissermaßen eingerahmt von den größeren Landeskirchen der alt-
preußischen „Provinz Sachsen“ und „Hannover“. Aber diese verdanken ihre äußere
Existenz hauptsächlich den politischen Veränderungen und dem weltpolitischen Um-
bruch nach 1789. „Am Anfang war Napoleon“ (Thomas Nipperdey). Dieser Satz eröff-
net eine Geschichtsdarstellung über das deutsche neunzehnte Jahrhundert.
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Der Satz
gilt auch weithin für die Geschichte kirchlicher Territorien und Verfassungen. Wie die
Badische Landeskirche aus einem 1806 entstandenen Großherzogtum Baden und die
lutherische Landeskirche in Bayern 1808 aus einem neuen bayerischen Königreich
hervorgegangen waren, so war die Landeskirche von „Hannover“ zwar zunächst aus
dem Kurfürstentum Hannover (seit 1692), dann aber seit 1814 aus dem im Alten Reich
völlig unvorstellbaren neuen „Königreich Hannover“ hervorgegangen. Das unabhän-
gige Land Braunschweig blieb jedoch als Herzogtum bestehen und hatte noch in der
Weimarer Republik eine eigene föderale Staatsform, verlor diese aber nach kurzem
Aufleben nach dem Zweiten Weltkrieg am 1. November 1946 auf Befehl der Britischen
Militärregierung. An das alte selbständige Land Braunschweig erinnern heute noch
zahlreiche Stiftungen und Institutionen. Doch die „Landeskirche in Braunschweig“ ist