Seite 46 - Kirchenbuch

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I nge Mager
theologen Martin Chemnitz nur zwei Jahre im Superintenden-
tenamt halten (1586-88).
Ihm folgte 1589-94 der aus Wittenberg berufene gebürtige Würt-
temberger Polykarp Leyser (1552-1610),
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der als strenger Luthera-
ner den kryptocalvinistischen Strömungen
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im Stadtrat das Was-
ser abgrub und u. a. mit dem Helmstedter Daniel Hofmann in
einen christologischen Streit geriet, den Herzog Heinrich Julius
1591 unter städtischem Protest im Sinne der ubivolipräsentischen
„moderation“ des Corpus Doctrinae Julium entschied. Wie sehr
Leyser in Chemnitz’ Fußstapfen trat, zeigt auch seine Fortsetzung
und Herausgabe von dessen
Loci theologici
(zwischen 1591 und
1604) und
Harmonia evangelica
(1593-1611).
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Nach Leysers viel
bedauertem, durch die Rückkehr Kursachsens zum Luthertum
bedingten Weggang von Braunschweig gelang es bis 1623 leider
nicht, die Superintendentur mit einem profilierten, leitungsstar-
ken Theologen von auswärts zu besetzen. 1599-1606 war die Stel-
le sogar vakant. Das erwies sich in jenen außen-, innen- wie kir-
chenpolitisch höchst schwierigen Jahren als besonderer Mangel.
Wie bei jedem Herrschaftswechsel stand auch beim Regierungs-
antritt von Herzog Heinrich Julius (reg. 1589-1613) die stadtbraun-
schweiger Huldigung an. Der Magistrat, dem es um die städti-
sche Souveränität mit Beibehaltung sämtlicher Privilegien
einschließlich des Bekenntnisstandes ging, verstand es, diesen
Akt trotz der 1606 verhängten und 1611 endgültig bestätigten
Reichsacht bis zum Februar 1616 hinauszuzögern. Der Herzog
versuchte, 1600 durch eine Wirtschaftsblockade und Ende 1605
durch einen militärischen Handstreich mit nachfolgender mona-
telanger Belagerung die Stadt in seine Gewalt zu bringen. Vergeb-
lich. Beide Seiten intervenierten bei Rudolf II. (1552-1612, 1576
deutscher Kaiser). Heinrich Julius hielt sich deshalb seit 1607 fast
ständig in Prag auf, erwarb sich dort eine Vertrauensstellung, ver-
mittelte im dynastischen Streit des Kaisers mit seinem Bruder
Matthias (1557-1619, 1612 deutscher Kaiser) und stieg zum Direk-
tor des Geheimen Rats auf. Der die freie Religionsausübung
garan­tierende Majestätsbrief (1609) soll mit auf seinen Einfluss
zurückgehen. Über diesem aufwändigen Reichsdienst vernach-
lässigte Heinrich Julius sein eigenes Territorium, dessen Kirchen-
und Konfessionspolitik nach der Kirchenordnung von 1569 und
dem Corpus Doctrinae Julium entsprechend den herzoglichen
Abb. 2:
Herzog Heinrich Julius
zu Braunschweig-
Lüneburg (1564-1613),
Porträt und
Fotonachweis:
Herzog August
Bibliothek
Wolfenbüttel