Seite 59 - Kirchenbuch

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Di e Braunschwe i g i sche Landesk i rche im 20. Jahr hunder t
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DI E BRAUNSCHWE IGISCHE L ANDESK IRCHE
IM 20 . JAHRHUNDERT
von Diet r ich Kuessner
Die Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche wird im 20. Jahrhundert von
drei Themen beherrscht: vom Verhältnis der Landeskirche zu Krieg und Frieden, vom
neuen Verhältnis zum Staat und einer wachsenden Säkularisierung der Gesellschaft.
Man hat das 20. Jahrhundert „das Jahrhundert der Kriege“ genannt: wie wirkten sich
der Erste Weltkrieg (1914-1918), der Zweite Weltkrieg (1939-1945) und der Kalte Krieg
(1948-1989) auf das Leben in der Landeskirche aus? Anlässlich der Novemberereig­
nisse 1918 verloren Kaiser und Herzog ihr Amt als kirchliches Oberhaupt. Welche neue
Spitze erhielt die Landeskirche, und hatte der Wechsel an der Spitze eine Bedeutung
für die Arbeit in den Kirchengemeinden? Seit Anfang des Jahrhunderts begann in ver-
schiedenen Wellen eine Kirchenaustrittsbewegung, und kirchliche Traditionen lösten
sich allmählich auf. Welche Ursachen hatte sie und welche Ausmaße erreichte sie?
1. DIE LANDESKIRCHE IM TOTALEN ERSTEN WELTKRIEG (1914-1918)
Den Ersten Weltkrieg hat George Kennan die „Urkatastrophe des zwanzigsten Jahr-
hunderts“ genannt. Bedeutete er auch eine Urkatastrophe für die evangelische Kir-
che? Der Erste Weltkrieg vergiftete jedenfalls für lange Zeit nachhaltig das theologi-
sche Denken, das sich in den Anschauungen der Deutschen Christen fortsetzte und
auch im Zweiten Weltkrieg und weit danach wirksam blieb. Beide Weltkriege haben
gemeinsam, dass sie an ihren Wendepunkten 1916 und 1943 als totale Kriege ausgeru-
fen und die Grenzen zwischen Front und Heimat aufgehoben wurden. Das jeweilige
Kriegsende 1918 und 1945 markierte einen kirchengeschichtlichen Epochen­
abschnitt.
1
a) Augustbegeister ung a ls Propaganda der ka iser l ichen Zensurbehörde
Das Gebet um den Schutz Gottes für die „deutsche Kriegsmacht zu Wasser und zu
Lande“ gehörte seit 1895 zum allgemeinen sonntäglichen Gebet eines Braunschwei-
ger Pfarrers. „Segne unser gesamtes deutsches Vaterland, und beschütze seine Kriegs-
macht zu Wasser und zu Lande. Erhalte die ganze Christenheit bei der Wahrheit Dei-
nes Wortes und beim lieben Frieden“, hieß es in einem Alternativvorschlag.
2
Die
deutsche Kriegsmacht hatte den „lieben Frieden“ zum Ziel, um so die Wahrheit des