Seite 11 - Raabe_inspiriert

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„Annett Volmer hat den wohl düstersten, den un-
heimlichsten Text des Wettbewerbs geschrieben. Es
ist die Geschichte eines totalen Verschwindens, die
knappe Chronologie einer Selbstauflösung. Sie geht
aus von zwei Texten, in denen Mühlen eine zentra-
le Rolle spielen: „Pfisters Mühle“ von Wilhelm Raa-
be und „Levins Mühle“ von Johannes Bobrowski.
In dem einen richtet Umweltzerstörung einen alten
Müller zugrunde, in dem anderen wird ein jüdischer
Mühlenbesitzer um seine Existenz gebracht. Auch
in Volmers Text wird ein Mensch entwurzelt, eine
Existenz vernichtet. Durch ein Übermaß an Un-
glück. Die Umweltvergiftung wird zeitgemäß auf
das Atommülllager Asse übertragen, der Fortschritt
kommt in Gestalt einer Windkraft-Firma daher. Vol-
mer macht jedoch aus ihrem Text – ebenso wie Raa-
be – keine platte Umwelt-Schmonzette. Jener Mann,
von dem nur noch ein abgewetztes Schreibheft üb-
rig ist, macht nichts und niemanden für sein depri-
mierendes Schicksal verantwortlich. In der spröden,
ganz und gar unsentimentalen Schilderung eines
unscheinbaren Untergangs hart am Rande des Ver-
stummens wird vielmehr ein moderner Hiob kennt-
lich, ein gespenstischer Untoter, von dem auf der
Welt nichts bleibt als ein altes Heft. Eindringlich ge-
lingt der Autorin in der bruchstückhaften Struktur
ihres Textes ein Schlaglicht auf die Flüchtigkeit allen
Glücks. Raabe war geradezu versessen auf Verlust
und Tod. Diese düstere Geschichte hätte ihm wohl
gefallen.“