Seite 16 - Zwangsarbeit

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reduzierten kurzfristig die Zahl der Arbeitslosen. Zugleich waren diese mit großem pro-
pagandistischen Aufwand begleiteten Maßnahmen konzipiert als Grundlage für einen
selbsttragenden Aufschwung der privaten Wirtschaft, die recht bald im Vertrauen auf
staatliche Aufträge vielfach Produktionskapazitäten und Belegschaften erhöhte. So waren
im Frühjahr 1934 in der bislang stagnierenden Maschinenbauindustrie, traditionell eine
führende Branche der braunschweigischen Wirtschaft, mehrere hundert neue Arbeits-
plätze entstanden. Der Einfluss von Rüstungsaufträgen dürfte zu diesem Zeitpunkt noch
als gering zu veranschlagen sein. Der Konjunktureinbruch im Winter 1934/35 bewies,
dass die braunschweigische Wirtschaft mit Ausnahme der Bauindustrie und einigen
Branchen der Metallindustrie in einen dauerhaften Aufschwung noch nicht eingetreten
war. Im ersten Halbjahr 1935 waren das Braunschweiger Mühlenbauunternehmen
MIAG und die Vereinigten Eisenbahn-Signalwerke nur zu 75 % ausgelastet. Ähnlich
ungünstige Zahlen hatten die Braunschweiger Maschinenfabrik Karges-Hammer (60 %)
und die optische Industrie (Voigtländer 60-75, Franke & Heidecke 70-100 %) zu melden.
Jedoch Firma Büssing (Lkw-Produktion), die Pantherwerke (Fahrradproduktion), die
Unterharzer Berg- und Hüttenwerke sowie einige chemische Betriebe waren zu diesem
Zeitpunkt bereits vollständig in Anspruch genommen. Erst die durch Hitler 1935 ver-
kündete allgemeine Aufrüstung und der Vierjahresplan führte in Form von Wehr-
machtsaufträgen auch im Land Braunschweig zu einem unumkehrbaren wirtschaftlichen
Aufschwung. Gewinner dieser Entwicklung war vor allem die Metall- und Maschinen-
industrie, die z.T. umfangreiche Produktionserweiterungen vornahm. Erwähnt sei hier
nur die seitens der Firma Büssing betriebene Gründung der Niedersächsischen Moto-
renwerke (NIEMO) in Braunschweig-Querum
3
. Die Vereinigten Eisenbahn-Signalwerke
erreichten durch einen Flak-Großauftrag wieder Vollbeschäftigung. In diese Jahre fallen
die Anfänge der Flugzeugindustrie in Braunschweig
4
. Doch schon bald zeigten sich die
Schattenseiten dieser stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Rüstungsfirmen
sahen sich mit unerwarteten Rohstoffengpässen konfrontiert, wodurch der im Sommer
1936 in Braunschweig errichteten Dienststelle (Rüstungskommando) der in Hannover
ansässigen Wehrwirtschaftsinspektion XI ein großes Aufgabenfeld erwuchs. Unüber-
sehbar war nun der Mangel an Arbeitskräften, besonders an Fachkräften im Metall-
bereich. Sie waren durch die beiden großen industriellen Neugründungen in der Region
Braunschweig, die „Reichswerke Aktiengesellschaft für Erzbergbau und Eisenhütten
‚Hermann Göring’“ in Salzgitter-Watenstedt (1937) und das Volkswagenwerk in Wolfs-
burg (1938) besonders begehrt.
Beide Neugründungen sind auf rüstungspolitische Entscheidungen der Reichsregie-
rung zurückzuführen und bedeuteten eine erhebliche Aufwertung der Region Braun-
schweig, deren Umfang über die herkömmlichen Landesgrenzen hinausging. Beide
Standortfestlegungen folgten übergeordneten raumpolitischen und geostrategischen
Konstellationen
5
. Es ist bemerkenswert, dass erst, nachdem wichtige Entscheidungen auf
Reichsebene zugunsten der Region getroffen worden waren, berechtigte Hoffnungen
bestanden, die negative Hinterlassenschaft früherer Jahrhunderte, Braunschweigs ungüns-
3
Axel
Richter
, Die „Niedersächsischen Motorenwerke G.M.B.H. Braunschweig-Querum“ (NIEMO), 1935-
1960. o.O.o.J.
4
Kap. 1.2.2.
5
Stubenvoll
(wie Anm. 1) S. 76, vgl. S. 9, Anm. 2, G.
Wysocki
und W.
Benz
.