Seite 63 - Fallersleben

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Eine Renaissancefürstin zwischen Schicksal und Selbstbehauptung
Töchter der Herzogin Clara bestimmt. Aber damit
greifen wir vor.
Anstiftung zum Unglücklichsein? – Erziehung in
Steterburg
Über Claras frühe Kindheit schweigen die Quellen.
Fest steht, dass im Mittelalter und der Frühen Neuzeit
die Kindheit erheblich früher endet als heute. Spätestens
mit sechs Jahren beginnt bei Jungen und Mädchen die
Ausbildung.
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Für Mädchen heißt dies oft, die Jahre bis
zu ihrer Verheiratung in einem Kloster zu verbringen
oder sich im Kloster auf ein Leben als Nonne vorzu­
bereiten. Frömmigkeit, Gehorsam, Ergebenheit und
Keuschheit sind die weiblichen Erziehungsziele. Die
Ausbildung dient einzig und allein dazu, sie auf ihre
spätere Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten.
Sie lernten Lesen, Schreiben, Rechnen, Handarbeiten
und einen Haushalt zu führen.
Clara von Sachsen-Lauenburg erhält ihre Aus­
bildung im adeligen Augustinerinnenstift in Steterburg
(heute ein Stadtteil von Salzgitter-Thiede). Hier ist ihre
Tante Elisabeth seit etwa 1515 Priorissa, das heißt Vor­
steherin. Steterburg ist mit 2860 Morgen Acker und
140 Morgen Wiese der größte Klosterbetrieb im Herzog­
tum Braunschweig-Wolfenbüttel.
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Die Priorissa des Stiftes hat nach dem Probst die
gesamte Regierung und Verwaltung des Stifts inne und
ist Leiterin des Konventes, das heißt der Gemein­
schaft.
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Ihre Position bringt Macht, Ansehen und Ver­
antwortung mit sich. Sowohl Clara als auch ihre beiden
älteren Schwestern werden hier erzogen.
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Aus einer
Bestandsliste, die Elisabeth anfertigen lässt, wissen
wir, dass ihr Schwager, Herzog Magnus, dem Stift
einen goldenen Kelch geschenkt hat.
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Dies geschah
sicherlich auch aus Dankbarkeit für die Erziehung
seiner Töchter.
In älteren Veröffentlichungen findet sich ver­
schiedentlich der Hinweis, dass die Herzogin der Kräu­
ter- und Heilkunde mächtig war.
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Wahrscheinlich hat
sie diese Kenntnisse in Steterburg erworben.
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Die
Möglichkeit dazu hätte sie gehabt, denn das Stift ver­
fügt über eine Art Krankenhaus und eine medizinisch
gebildete Krankenmeisterin.
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In der Vermittlung einer
weiteren Fähigkeit, nämlich der des Schreibens, scheint
die Ausbildung in Steterburg weniger erfolgreich ge­
wesen zu sein, wie Herzogin Clara selbst zugibt. In
einem Brief an Elisabeth Magdalene von Braunschweig-
Lüneburg aus dem Jahr 1559 entschuldigt sie sich
dafür, dass sie den Brief von einem Schreiber aufsetzen
lässt, da sie keine gute Schreiberin sei.
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Begeben wir uns einen Moment auf die Ebene des
Spekulativen: Wäre es für Clara und auch für ihre
Eltern eine ernsthafte Option gewesen, in das Stift ein­
zutreten und ihrer Tante als Priorissa nachzufolgen?
Keine Ehe hätte Clara ein solches Maß an persönlicher
Freiheit, an Macht und Unabhängigkeit geboten, wie
sie die Position der Priorissa mit sich gebracht hätte.
Die Stiftsdamen legen kein öffentliches Gelübde ab,
tragen ihre Tracht nur während des Gottesdienstes,
dürfen weiter über persönliches Vermögen verfügen
und müssen daher auch auf manche Annehmlichkeit
nicht verzichten.
Ihre Eltern wären der Sorge um eine standes­
gemäße Heirat ihrer Tochter entledigt gewesen, ebenso
wie der Sorge um die Zahlung einer akzeptablen Mit­
gift – zumal sie diese bereits bei den beiden älteren
Töchtern aufbringen mussten. Aber Clara bleibt nicht
im Stift, sondern wird verlobt. Kam es also durch die
Reformation und die damit verbundenen politischen
Ereignisse zu einem ersten schicksalhaften Bruch in
ihrer Biografie? Wenn dem so wäre, hätte sie mit ihrem
zukünftigen Ehemann Franz von Braunschweig-Lüne­
burg zumindest eine Gemeinsamkeit: Auch er war für
eine katholische Karriere vorgesehen: als Bischof von
Hildesheim. Oder hatte Clara sich, begeistert von den
neuen lutherischen Ideen, bereits vom Katholizismus
abgewandt?
Um diese Frage beantworten zu können, fehlen uns
leider die nötigen Quellen, stellen dürfen wir sie aber
allemal.