Seite 66 - Karl_und_Wilhelm_3

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sollte und die vorübergehende Regierung eines Regenten vorsah, bis der Streit zwischen
Hannover und Preußen beigelegt und die Behinderung beseitigt sei. Wilhelm, der die
Verabschiedung dieses Gesetzes in der braunschweigischen Landesversammlung als
„sehr beglückend” empfunden hat, ist in dem Bewusstsein gestorben, dass seine
Nachfolge und der Erhalt der Welfenherrschaft damit gesichert seien. Dass die
Militärkonvention mit Preußen, trotz jahrelanger Verhandlungen und trotz der großen
Verärgerung Bismarcks, bis zu Wilhelms Ableben nicht zustande gekommen war, störte
ihn nicht weiter. Zu sehr war er darüber verärgert, dass sein „geliebtes”
Infanterieregiment so viele Jahre in Elsaß – Lothringen garnisonieren musste.
Als Wilhelm
1884
verstarb, war die Zahl derjenigen, die auf die Testamentseröffnung
warteten, groß. Mancher hoffte, von Wilhelm bedacht worden zu sein. Viele waren
enttäuscht, auch die Landesbewohner, über die Hartwieg
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schreibt: „Als der Inhalt
dann bekannt wurde, wonach der sehr wohlhabende Herzog weder Stadt noch Land
irgend etwas hinterlassen hatte, machte sich der Unmut der Bevölkerung in
bedenklichen Äußerungen Luft.” Außer einigen Legaten an verdiente Leute aus seiner
näheren Umgebung und an wenige Verwandte erbte König Albert von Sachsen, Sohn
seiner Cousine Amalie, die Güter sowie die Baulichkeiten in Schlesien und wurde
dadurch der größte Landbesitzer Sachsens. Das gesamte übrige Vermögen in Höhe von
zehn Millionen Mark fiel an den Herzog von Cumberland, an „Ernst”, wie Wilhelm zu
sagen pflegte. Differenzen wegen einzelner Erbschaftsstücke unter den beiden Fürsten
sowie wegen der Erbschaftssteuer zwischen dem Herzog und dem braunschweigischen
Staat waren am
17
. Juni
1889
vertraglich geregelt
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worden. Vom Verwandtschaftsgrad
her, wären andere Persönlichkeiten oder Familien anstatt der jüngeren Welfenlinie eher
zu bedenken gewesen, beispielsweise die Hohenzollern
759
oder auch Kaiser Franz Joseph,
der Sohn von Wilhelms Cousine Erzherzogin Sophie.
Wilhelm, der bei seinen häufigen Besuchen in Wien den Herzog von Cumberland
und dessen Ehefrau Thyra von Dänemark häufig getroffen und schätzen gelernt hatte,
bezweckte offensichtlich mit der Begünstigung der jüngeren Welfenlinie, dass der
künftige Herrscher in Braunschweig auch mit der nötigen finanziellen Unabhängigkeit
ausgestattet sein sollte. Schließlich hatte Bismarck mit seiner Vermögens-Beschlag-
nahme den Hannoveranern erheblichen finanziellen Schaden zugefügt.
Herzog Wilhelm konnte sich nicht entschließen, ernsthaft auf „Freiersfüßen” an den
europäischen Fürstenhöfen auf Brautschau zu gehen, so lange die Rechtsverhältnisse in
der braunschweigischen Thronfolge nicht abschließend geklärt waren. Der Bundesrat in
Frankfurt hatte zwar Bruder Karl
1831
für regierungsunfähig erklärt, aber die Frage der
Erbfolge bewusst offen gelassen. Würden Karls Kinder aus einer standesgemäßen Ehe
Ansprüche auf den Thron haben? Würden er selbst oder seine Kinder den Thron bei der
Volljährigkeit von Karls Erben verlieren? Fragen die Wilhelm damals sehr bewegten,
aber im Nachhinein sich als unbegründet herausgestellt haben, weil weder er noch sein
Bruder je geheiratet haben; beide hatten Kinder, die aber aufgrund der Hausverträge für
eine Thronfolge nicht in Frage kamen. Herzog Wilhelm hatte für seinen Sohn Berthold
aus der Verbindung mit Franziska Gernreich ein Legat ausgesetzt und Karl hatte seine
Tochter Elisabeth verstoßen, weil sie den katholischen, französischen Grafen Civry
geheiratet hatte. Beide Kinder sind insoweit bei der Erbschaft unberücksichtigt
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