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Vorwort
Es ist ja nicht so, dass ich mit großer Begeisterung zur Schule gegangen wäre; über jede
ausgefallene Unterrichtsstunde, sei es wegen Krankheit des Lehrers, Fliegeralarm, oder
gar Beschädigung und Zerstörung der Schule durch feindliche Luftangriffe, habe ich als
Schüler nicht wehleidig debattiert, sondern es mehr oder weniger begrüßt, dass ich
meine überraschend gewonnene Freizeit mit Fußball oder anderen zeitvertreibenden
Tätigkeiten mit meinen dörflichen Spielgefährten verbringen konnte.
Nur wenn die Geschichtsstunde bei Studienrat – so redeten wir unsere Lehrer zu
meiner Schulzeit noch an – Dr. Karl Lange ausfiel, dann war ich betroffen und tief-
traurig, weil dessen Unterricht mich begeisterte und von mir mehr als Freizeit-
vergnügen begriffen wurde, wenn auch natürlich im Rahmen von Klassenarbeiten das
vermittelte Wissen und das Geschichtsverständnis nachgewiesen werden mussten.
Wenn Karl Lange mit seiner sonoren, tiefen Stimme über den Dreißigjährigen Krieg
und die Erlebnisse des schwedischen Soldaten Sven Knudson Knäckebroed während
der Besatzungszeit in Deutschland erzählte, hörten wir Schüler begeistert und
aufmerksam zu; man hätte die berühmte Stecknadel gehört, wenn sie dann zu Boden
gefallen wäre.
Besonders engagiert war Lange, gebürtiger Braunschweiger, bei seinem Spezial-
thema: Der preußische Ministerpräsident Bismarck und dessen Umgang mit dem
Welfenhaus in Hannover und Braunschweig. Insgeheim hat er den Fürsten Otto von
Bismarck wohl verehrt und dessen unstreitige Verdienste um die deutsche Einheit und
um das Kaiserreich höher bewertet als das mangelnde Rechtsbewusstsein und die
zahlreichen Rechtsverstöße des preußischen Ministerpräsidenten, die von Nützlich-
keitsdenken geprägt waren: Recht ist in erster Linie das, was Preußen nutzt! Zu diesem
Thema hat Lange mehrere bedeutende Veröffentlichungen verfasst, die inzwischen von
Historikern der Standardliteratur zugerechnet werden.
Im Jahre
1998
bin ich Karl Lange, der von
1893
bis
1983
gelebt hat, noch einmal
begegnet: Im Geheimen Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in Berlin-
Dahlem. Dort war ich auf der Suche nach Briefen der preußischen Botschafter in
Hannover und Braunschweig an das Berliner Außenministerium, die hier unter „I. Haupt-
abteilung Sign. III” aufbewahrt werden. Mein ehemaliger Lehrer Lange hatte schon
Jahrzehnte vor mir Einsicht in diesen Schriftverkehr genommen, nämlich im April und
August
1936
, wie ich dem Benutzerblatt entnehmen konnte, das den Archivunterlagen
beiliegt. In den vergangenen sechzig Jahren hatte kein weiterer Historiker diese Akte
eingesehen, so dass ich meine Unterschrift, stolz aber auch ein wenig beklommen, direkt
unter Langes Namenszug setzen musste.