Seite 106 - Kirchenbuch

Basic HTML-Version

630
I nge Mager
Abschnitt über die von Hebammen durchgeführte Nottaufe ohne Exorzismus wird
verfügt, dass dieser Ritus von einem Geistlichen nicht nachgeholt werden solle. Eine
evangelische Umformung der mittelalterlichen Firmung nahm Bugenhagen noch
nicht vor.
4
Die von Martin Chemnitz verantwortete, nach dem lüneburgischen Vorbild gestaltete
Taufliturgie in der Kirchenordnung für Braunschweig-Wolfenbüttel (1569) stimmt im
Wesentlichen mit Luthers Vorgaben überein. Die Frage des Pfarrers nach dem Namen
des Kindes eröffnet die im Gottesdienst nach der Predigt stattfindende Sakraments-
spendung. Es folgen der kleine Exorzismus: „Fahr aus, du unreiner Geist und gib
Raum dem heiligen Geist“, die Bekreuzigung an Stirn und Brust des Täuflings, das
Sintflutgebet, der große Exorzismus: „Ich beschwöre dich, du unreiner Geist, bei dem
Namen des Vaters [...], daß du ausfährest [...]“, das Kinderevangelium (Markus 10) so-
wie eine Taufbelehrung, die in das gemeinsam gesprochene Vaterunser einmündet.
Der anschließende mit Psalm 121,8 eingeleitete Taufakt am Taufstein beginnt mit der
dreimaligen Aufforderung zur Absage an den Teufel, setzt sich fort in den Fragen
nach den drei Glaubensartikeln und endet mit der Tauffrage. Auf alle drei Fragenkom-
plexe antworten die Paten stellvertretend für den Täufling. Das zusammenhängend
gesprochene apostolische Glaubensbekenntnis setzte sich erst nach 1615
5
durch. Zu-
letzt besiegelt der Taufvollzug im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes
vermutlich durch Übergießen des nackten Täuflings mit Taufwasser die sakramenta-
le Handlung. Während das Kind zum Zeichen seiner neuen Existenz das weiße Tauf-
kleid mit Kapuze (Westerhemd) angezogen bekommt, bekräftigt der Täufer in seinem
Schlussvotum noch einmal die in der Taufe bewirkte Wiedergeburt und Sündenverge-
bung und spricht den Friedensgruß. Bezüglich des Exorzismus empfiehlt Chemnitz
den Pastoren am Ende der Liturgie ausdrücklich eine Klarstellung darüber, dass die
Befreiung des Kindes aus dem Herrschaftsbereich der Sünde und des Teufels nicht
auf magische Weise geschehe, sondern sich während der gesamten Taufhandlung
durch Wasser und Verheißungswort vollziehe und sowohl die Notwendigkeit als auch
den Sinn der Taufe verdeutliche.
6
Eine im Namen des dreieinigen Gottes vorgenom-
mene Nottaufe ohne Exorzismus bedarf jedoch keiner Wiederholung, wohl aber der
nachträglichen Bestätigung durch den Pastor vor der Gemeinde.
7
In dem der Kirchen-
ordnung vorangestellten lehrhaften „Kurzen Bericht“ findet sich im Taufabschnitt
noch eine Zurückweisung der reformierten Anschauung, dass die Kinder gläubiger El-
tern nicht mehr unter dem göttlichen Zorn stehen und deshalb keines Exorzismus be-
dürfen.
8
Getauft werden soll „unverzüglich“ nach der Geburt.
9
Das ausführliche Eingehen auf
die Nottaufe in beiden Kirchenordnungen
10
erklärt sich aus mancher dabei im Mittel-
alter vorgekommenen „Abgötterei, Segnerei oder Zauberei“; denn selbst nur halb
oder tot geborene Kinder sind aus Sorge um ihr Seelenheil getauft worden.
11