Seite 92 - Kirchenbuch

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Di et r i ch Kuessner
sepredigt zu vertreten, im übrigen ihm gehorsam und mit einem geringen Lohn zufrie-
den zu sein. Voraussetzung für den Küsterdienst war also die Fähigkeit zum Lesen. Das
konnte man damals bei den Wenigsten voraussetzen. Bugenhagen fasste den Küster-
dienst mit dem Organistendienst unter einer Überschrift „Van den kosteren unde orga-
nisten“ zusammen.
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Zwischen beiden Diensten sollte in den zahlreichen Dorfkirchen
eine enge Verbindung entstehen. Auf dem Lande gehörte schon in katholischer Zeit zu
jeder Kirche im Dorf ein Opfermann. Die Dorfgemeinde stellte ihm ein „Opferhaus“ zur
Verfügung, und dafür kümmerte er sich um die Dorfkirche.
In der Kirchenordnung von Herzog Julius (1528-1589) 1569 wurde das Küsteramt mit
dem Lehreramt verbunden. Überall, wo sich Küsterstellen befanden, sollte auch eine
Dorfschule entstehen, in der die Dorfjugend in Gesang und Katechismus unterrichtet
werden sollte. Den Gottesdienst auf den Dörfern sollten Pfarrer und Küster gemein-
sam halten, im Wechsel einen Eingangspsalm sprechen und der Küster antwortete je-
weils auf die liturgischen Stücke.
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Wie wenig die damaligen Kirchenordnungen dem kirchlichen Alltag entsprachen, er-
fahren wir aus der Schulordnung von Herzog August 1651, also knapp 100 Jahre spä-
ter. Der Lehrer und Küster müsse „bei seiner schweren Mühe und Arbeit ein gestren-
ges Leben in Hunger, Durst, Blöße und Mangel aller Notdurft führen und nebst dem
von jedermann verachtet und unter die Füße getreten sein.“
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Herzog August (1579-
1666) führte die Schulpflicht ein und vermerkte in seiner Schulordnung, dass die Leh-
rer/Küster keine Handwerker sein sollten und „auch nicht solche genommen werden
sollen, welche nicht im Leben und Schreiben […] geübet“ wären.
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So eine Instruktion
war offenbar nötig. Es kam vor, dass Lehrer Analphabeten gewesen waren. Der allge-
meine Schulbesuch war nicht durchführbar. Die Kinder gehörten nach Meinung der
Eltern und Gutsherren (Patrone) vor allem auf den Acker, jedenfalls im Sommer. Dort
lernten sie genug fürs harte Leben. Dann erst kam die Schule dran. Die Visitationsbe-
richte des Generalschulinspektors Christoph Schrader (1601-1680) aus den Jahren
1650-1666 bestätigen den erschütternden Eindruck
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, und auch nach weiteren 100 Jah-
ren hatte sich nichts grundlegend geändert.
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Der Verdienst des Lehrers, Küsters, Opfermanns war derart gering, dass er nebenher
schneidern, gärtnern oder weben musste. Alle viertel Jahr konnte er sich bei einem
Umgang durchs Dorf von den Bewohnern Wurst, Eier, Butter, und Brot einsammeln.
Für sein Vieh erhielt er etwas Weideland. Meist unterrichtete der Küster in seinem
ärmlichen, viel zu kleinen Wohnzimmer, wo die Luft schnell verbraucht war. Die
Landlehrer drängten wegen der miserablen Verhältnisse rasch in die Stadt zurück.
Die Lernziele waren im schulischen Alltag „stille sitzen“, gehorchen, Katechismusstü-
cke lernen, beten, lesen, manchmal auch schreiben. Das evangelisch-lutherische