Seite 58 - Muenzbuch

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Die Münzen und Medaillen im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges
Das wahre Ausmaß der braunschweigischen Kipperei wurde erst nach dem Sturz der Landdrosten
deutlich. Das Landdrostenregiment ging endgültig am 10. September 1622 zu Ende, als Mitglieder der
Ständeversammlung bei Herzog Friedrich Ulrich Gehör fanden, nachdem sie zuvor mit ihren Be-
schwerden nicht bis zum Herzog hatten vordringen können. Die beiden Brüder von der Streithorst
wurden in Haft genommen.
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Der Prozess vor dem Reichskammergericht gegen sie begann am
1. Dezember 1622. Arndt von Wobersnow hatte schon 1621 nach Hildesheim f liehen müssen und war
bald darauf gestorben. Henning von Rheden, Arndt von Wobersnows Nachfolger, hatte am 10. März
1622 seinen Abschied genommen und verließ am 10. September endgültig das Land.
Einzelheiten der Vorwürfe sind den Anklageschriften gegen die Brüder von der Streithorst und die
Landdroste zu entnehmen.
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Am schlimmsten hatte es offenbar Arndt von Wobersnow getrieben, der
als erster und schon seit 1617 Kippermünzstätten eingerichtet hatte. Seine Helfer waren der ‚Jude‘
Nathan Schay und der Münzmeister Hans Lachertrieß. Arndt von Wobersnow soll 100.000 Taler auf-
gewendet haben, um im Schloss Calenberg und im Kloster Amelunxborn bei Holzminden Münz-
stätten aufzubauen und Leute einzustellen. Allein in Amelunxborn sollen zeitweise 300 bis 400 Leute
beschäftigt worden sein.
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Eine der Anklageschriften aus dem Jahre 1622 wirft ein bezeichnendes Licht auf die Leute, die sich
an diesen Geschäften beteiligten. Es werden genannt
„allerley loß gesindelein, … falsche Muntzmeistere,
Ohme, Muntzere, verdorbene Goltschmiede, Grob- und Kleinschmiede, Schuster, Schneider, Discher,
verdorbene Krueger und Gastgeber, Alchimisten, Zollnere, Kutzschere, Tagelöhner, Jäger, darunter Ab-
decker oder Schinder, aus denen Muntzmeistere, Ohme, Muntz Schmiede, Muntzverleggere, Factoren,
Muntzschreiber gemachet.“ 
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Einige der ‚falschen’ Münzmeister betrieben in den Jahren der Kipperei
zehn oder mehr Münzstätten.
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Die Kipper und Wipper hatten richtige Vertriebsorganisationen auf-
gebaut, die gutes Geld aufkauften und schlechtes Geld in andere Regionen transportierten, um es dort
gegen besseres einzutauschen.
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Die Folgen des Kipperunwesens spiegeln sich in vielerlei Aussagen der Zeit wider. Der Dechant
von St. Blasius in Braunschweig beklagte sich, dass im ganzen Land kein vollwertiger Groschen mehr
zu finden sei. Das Reichskammergericht warf am 26. Juni 1620 dem Herzog, seinen Landdrosten und
deren Münzmeistern vor, alle richtigen Münzen im Lande seien eingeschmolzen und an vielen Orten
von der Regierung Unternehmer zur Münzverfälschung eingestellt worden.
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Die niedersächsischen
Generalkreiswardeine Andreas Laffers und Jobst Brauns berichteten am 13. Oktober 1621 dem Kreis-
tag zu Braunschweig, dass die Münzmeister keine Probationen mehr zuließen, die Kontrolleure mit
Tätlichkeiten bedrohten und sich zum Schaden anderer so bereichert hätten, dass sie sich nun wie vor-
nehme Adlige gebärdeten.
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Dabei hatten sich die beiden Generalkreiswardeine selbst unrechtmäßig
bereichert. Jobst Brauns hatte sich seine Besoldung doppelt auszahlen lassen, und Andreas Laffers war
gar im Gebiet Halberstadts wegen Kipperei verhaftet worden.
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Zunächst hatte die Regierung in Wolfenbüttel das System der Kipperei durch verschiedene Edikte,
die das Misstrauen gegen das schlechte Geld ersticken sollten, gestützt. Versuche in den Jahren 1619
und 1620 den Wertanstieg des Talers zu begrenzen und die Ausfuhr guten Geldes zu verbieten, waren
fehlgeschlagen.
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Dann wurde angeordnet, dass niemand sich weigern dürfe, die neu geprägten
Münzen, die so genannten ‚Schreckenberger’ (siehe dazu unten S. 179), zu akzeptieren. Als die Un-
ruhe im Land immer größer wurde, änderte sich plötzlich die offizielle Politik. Herzog Friedrich
Ulrich reagierte als einer der ersten Fürsten Anfang des Jahres 1622.
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In einem Edikt vom 28. Januar
1622, mit dem das Unwesen der Kipperei abgestellt werden sollte,
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wurden die vorangehenden An-
ordnungen, die zu Gunsten des schlechten Geldes getroffen worden waren, aufgehoben, der Wert des
Talers wieder auf 24 Groschen festgesetzt, die Kippermünzen auf ein Achtel abgewertet, auswärtiges
Kippergeld verboten und die zukünftige Ausmünzung von gutem Geld nach der Reichsordnung an-
gekündigt. Die Kippermünzen wurden dadurch zwar noch nicht vollständig aus dem Verkehr ge-
zogen; die ‚Schreckenberger’ sollten, wie ausdrücklich befohlen wurde, zu einem Zwangskurs von
6 Pfennigen akzeptiert werden. Aber noch im gleichen Jahr 1622 wurden Groschen und Dreier aus
gutem Silber hergestellt (siehe unten S. 188 f.), die dem Mangel an gutem Kleingeld abhelfen sollten.