Seite 21 - Quadriga

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Das Tischmodell von 1855/56 als Vorstufe der großen Quadriga
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Einnahmen von ca. 11.500 Euro erhalten,
wovon aber mindestens 75% als Betriebs-
kosten abzuziehen sind (Löhne für die Mit-
arbeiter, Material, Heizung etc.). Für Riet-
schel wäre ein monatliches Honorar von ca.
2.900 Euro verblieben, das man als ange-
messen bezeichnen kann.
Wegen des hohen Kostenvoranschlags
kam der Vertrag aber nicht zustande. Riet-
schel begnügte sich schließlich mit einem
stark reduzierten Auftrag. Nun sollte die
erste Quadriga 11.000 RT kosten, also um-
gerechnet ca. 550.000 Euro, ähnlich der
dritten Quadriga (mit 650.000 Euro), wo-
von Rietschel noch 7.000 RT bzw. 350.000
Euro Honorar verblieben. Nach Abzug von
75% Betriebskosten verfügte er aus dem
vierjährigen Quadrigaprojekt wieder nur
über ein mäßiges Monatseinkommen von
ca. 1.900 Euro für sich und seine Familie.
Rietschel ist nach seinen eigenen Worten
„nicht reich geworden. … Ersparnis [muss]
ergänzend eintreten“.
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Das Tischmodell von 1855/56 als
Vorstufe der großen Quadriga
Aus Victoria wird Brunonia
Die Briefe, die Ernst Rietschel und Carl
Schiller, sein Freund und Förderer, mitein-
ander austauschten, sind von herzlicher
Vertrautheit. Sie schildern in unmittelbarer
Frische das Werden der Projekte Rietschels
und den Fortgang der Arbeiten an der klei-
nen Quadriga ab Mai 1855. Dieser Vertraut-
heit ist es auch zu verdanken, dass bereits
in einem Brief vom 23. August 1855 Schiller
gegenüber seinem Freund Rietschel salopp
von „der Brunoniageschichte“ und am
13. Dezember 1855 von „dessen [kleiner]
Quadriga“ samt der „Brunonia“ spricht,
also von der braunschweigischen Landespa-
tronin!
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Der Name wird schon im Januar
1856 wie selbstverständlich verwendet und
später bei den Arbeiten an der großen Qua-
driga – wie im Brief Schillers an Rietschel
vom 14. Dezember 1857 – sogar mit dem
Prädikat einer „Landes-Schutzgöttin“ ver-
bunden.
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So erlangte die Wagenlenkerin
den Namen Brunonia, den sie bis heute
trägt.
Die Bedeutung des Namens Brunonia
um 1855
Der Wandel zum lokalen Bezug bei der Na-
menswahl mag Schiller durch die gleichna-
mige Zeitschrift Brunonia erleichtert wor-
den sein, die in Braunschweig seit 1839
erschienen war und für die er bereits Aufsät-
ze verfasst hatte.
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Bereits 1814 erschienen
zwei hymnische Gedichte, in denen Bruno-
nia Friedrich Wilhelm, den Schwarzen Her-
zog, als Befreier des Landes willkommen
heißt. Die Brunonia als symbolische Landes-
patronin war im Herzogtum verwurzelt.
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Erstaunlicherweise bezieht sich diese
Symbolik und der Name Brunonia der Len-
kerinfigur des Tischmodells und später der
großen Quadriga auf das Gründerge-
schlecht der ältesten braunschweigischen
Landesherrschaft im 10. und 11. Jahrhun-
dert: auf die Brunonen. Die amtierende
Welfenherrschaft und die Landeshauptstadt
sollten mit der Quadriga 1855 überzeitlich
erhöht und geehrt werden. Der Umweg über
die Brunonen war dabei eine elegante Lö-
sung. Man meinte die Welfen, ohne sie als
Sinnbilder verkörpern zu müssen, so dass
aus Herzog Wilhelm keine allegorische
Lenkerfigur der Quadriga wie z. B. Wilhel-
mina wurde.
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In der latinisierten Wortschöpfung Bru-
nonia waren indes die ähnlich lautenden
Bezeichnungen für das braunschweigische
Kernland im einstmals viel größeren säch-
sischen Herzogtum (ab 1235 ducatus bruns-
vigense) und der mittelalterliche Name der
großen Residenzstadt Braunschweig – Bru-
neswic – gleichermaßen aufgehoben. Bru-
nonias Wirken galt beidem: Herzogtum
und Stadt.
Das waren die direkten Beziehungen im
Jahre 1855, als Schiller und Rietschel den