Seite 37 - Quadriga

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Nachfolge der Braunschweiger Quadriga in Seesen
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Howaldt veränderte auch den Wagen-
unterbau, er ließ den ca. 55 cm hohen Sockel
unter dem Wagen weg: der schwerste Ein-
griff in den Entwurf der Quadriga über-
haupt. Rietschel hatte gerade die Fernsicht
des hinten stehenden Wagens und der Bru-
nonia vom Schlossplatz aus so sehr am Her-
zen gelegen. Der Sockel ermöglicht eine
wirklich sehr gute Betrachtung auch der
hinteren Quadrigateile, wie es die dritte
Quadriga von 2008 zeigt.
Weitere Verkleinerungen an der zweiten
Quadriga sind nicht mehr sicher nachweis-
bar. H. Riegels Behauptung, Howaldt hätte
die Höhe der Pferde der zweiten Quadriga
von „15,5 auf 14 Fuß abgesenkt“, ist, wie
oben nachgewiesen, nicht richtig.
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Im
Gegenteil gleichen sich gerade die Pferde-
höhen mit ca. 440 bis 475 cm bei allen drei
Quadrigen. Nach H. Riegel soll Howaldt die
Pferde breiter aufgefächert aufgestellt ha-
ben. Aber das können die Fotovergleiche
nicht mehr bestätigen.
Insgesamt reagierte Howaldt auf die Kri-
tik der auf den Fotos tatsächlich steil wirken-
den ersten Quadriga mit Eifer. Um die Grup-
pe abzuf lachen, reduzierte er die Höhen des
Wagens und des Figurenstandpunktes, ent-
fernte den Wagensockel, verkleinerte die Rä-
der der ersten Quadriga und verschlankte die
Brunonia samt Ehrenstab, ohne dabei die
Kopfgröße zu verändern. Alles in allem ist
ein Höhenschwund von der ersten zu der
zweiten Quadriga von ca. 150 cm festzuhal-
ten. Die Gesamthöhe mit Ehrenkranz verrin-
gerte sich von ehemals ca. 9,80m auf 8,30m,
laut Plan von 1906
(Abb. 50)
. So war die zwei-
te Brunonia mehr in die Gruppe eingebettet,
aber blieb doch gut zu sehen
(Abb. 48)
.
Die verkleinerte zweite Quadriga mag im
Vergleich zu der ersten die Proportionen von
Rietschels Entwurf in einigen Teilen besser
wieder gegeben haben. Doch bleibt ein Unbe-
hagen im Blick auf die schweren Eingriffe in
das Werk zurück. So ist die neue dritte Qua­
driga, die eine exakte dreifache Vergrößerung
des Dresdener Originalmodells darstellt,
überhaupt die erste der drei Schlossquadrigen,
die Rietschels Entwurf in allen Teilen ohne
eine Maßveränderung wiedergibt.
Nachfolge der Braunschweiger
Quadriga in Seesen
Eine zeitgenössische Wiederholung der
zweiten Quadriga und damit auch Riet-
schels Entwurf befindet sich erstaunlicher-
weise in Seesen am Harz
(Abb. 55; 56)
. Die
Seesener Quadriga erlangte leider nie die
Berühmtheit ihres Braunschweiger Vorbil-
des, was ihrem erst furiosen, dann aber
traurigen Schicksal zugerechnet werden
muss. Auch mag der geringe Bekanntheits-
grad der Stadt Seesen hierbei eine Rolle
spielen.
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Abb. 55:
Bornum, Wilhelms­hütte,
die Quadriga für die
Weltausstellung in
Chicago von 1893 nach
der Fertigstellung im
Festschmuck, zeit­
genössische Fotograf ie,
Stadtarchiv Braun-
schweig.