Seite 78 - Raabe_inspiriert

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wünscht. Bübchen war zwar fünf Monate jünger als
sie, aber gleich groß und gleich schnell und ein klein
bisschen stärker.
Ob sie ihn einlädt? Aber er hat weder auf ihre
letzten Geburtstagskarten noch ihre Weihnachtsgrü-
ße geantwortet. Sie drängt sich niemandem auf.
Wen will sie außerdem einladen? Nachdenklich
schließt Anne die Augen und hebt ihr Gesicht der
Februarsonne entgegen. Noch pulst das Blut rot in
ihren Lidern.
Helga, Ulla und sie hatten in allen Pausen zusam-
men gespielt, aber kaum nachmittags, der Fußweg
war zu weit, dauerte mehr als eine halbe Stunde. Bis
ein Fahrrad sie unabhängiger machte, hingen Büb-
chen und sie wie Kletten zusammen, seit er ins
Nachbarhaus gezogen war. Seine und ihre Groß-
eltern hatten die Häuser vor dem ersten Weltkrieg
mit einer Brandmauer aneinander gebaut, um Geld
zu sparen. Eine hohe graue Mauer trennte die Höfe.
Daran schloss sich bis zu Mühes Garten eine
Knacke­beerhecke, die bald einen Durchschlupf von
Bübchens und ihrem Hin- und Herkriechen hatte.
Über die Straße gingen sie nur zu ihren Geburtsta-
gen, er in dunkelblauen Stoffhosen und sie in Klei-
dern aus Stoffresten. Das änderte sich erst mit ihrer
Konfirmation. Da gab es genug Stoffe zu kaufen
und sie war zur Tanzstunde angemeldet und fühlte
sich sehr erwachsen. Er wollte kein Bübchen mehr
sein und reagierte bloß noch auf Georg – stur oder
konsequent?
Sie will mit ihrer Gästeliste weitermachen, aber
Georg hat sich in ihrem Kopf eingenistet, stur wie er