Seite 50 - Voigtlaender+Sohn

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Erst der Generationenwechsel in der Firmenleitung brachte neuen
Schwung. Traditionelle Stärken des Unternehmens wurden beibehalten,
der innovationsfeindliche Kurs Peter Wilhelm Friedrich v. Voigtländers
durch die Einführung der Euryskop-Serie, die auf den Berechnungen
Hans Sommers beruhte, überwunden. Auf den technischen Fortschritt
reagierte das Unternehmen nun ausgesprochen schnell. Um die Mög-
lichkeiten der neuen Glassorten auszuschöpfen, wurden erstmals Wis-
senschaftler eingestellt. Die Institutionalisierung der Forschung war eine
wesentliche Voraussetzung, daß Voigtländer & Sohn 1894 mit dem Col-
linear einen eigenständigen Doppel-Anastigmaten auf den Markt brach-
te. Am Beispiel der Errichtung einer Zweigfabrik in den Vereinigten
Staaten ließ sich zeigen, wie Friedrich v. Voigtländer auf politisch indu-
zierte Veränderungen in den Handelsbeziehungen reagierte. Diese
Direktinvestition war auch eine Reaktion auf die verstärkte Wettbe-
werbssituation im Inland. Ende der 1890er Jahre zeigte sich, daß die
Kapitalbasis des Unternehmens für die neuen Wettbewerbsbedingungen
nicht ausreichten. Friedrich v. Voigtländer entschloß sich daher im Jahr
1898, sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.
Bis 1907 folgte eine Phase, die weitaus stärker auf Expansion ausge-
richtet war als die an einem langsamen Wachstum ausgerichtete Politik
Friedrich v. Voigtländers. Die Aufrechterhaltung des hohen Qualitäts-
standards, Marktnähe und werbende Maßnahmen waren der Kern des
Erfolgsmusters. Als sich die Nachfragestruktur um 1910 änderte, stellte
das Unternehmen erneut mit der Produktion von preisgünstigen und
qualitativ guten Fernrohren und Kameras seine Flexibilität unter
Beweis, indem es Tradition mit neuen Anforderungen verband. Festge-
halten werden muß allerdings, daß Voigtländer & Sohn im Militärge-
schäft weniger erfolgreich war als Carl Zeiss und C. P. Goerz.
Schon Peter Wilhelm Friedrich v. Voigtländer war daran interessiert,
einen festen Arbeiterstamm für die Firma zu gewinnen. Die betriebliche
Sozialpolitik und günstige Arbeitsbedingungen waren dafür verantwort-
lich, daß das Unternehmen vor dem 1. Weltkrieg dieses Ziel, den Arbei-
terstamm fest an die Firma zu binden, erreichen konnte. Der gewerk-
schaftliche Organisationsgrad der Belegschaft war im lokalen Vergleich
relativ gering. Hier erschwerte die handwerkliche Tradition, das hohe
Lohnniveau und die Vorreiterrolle von Voigtländer & Sohn in der Frage
der Arbeitszeitverkürzung eine Entfaltung der gewerkschaftlichen Orga-
nisationsdynamik.
Voigtländer & Sohn hat es in außergewöhnlichem Maße verstanden,
flexibel auf Veränderungen in der Unternehmensumwelt zu reagieren.
Diese Anpassungsleistung und die Fähigkeit, Krisen zu überwinden,
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