Seite 26 - Westphalenzeit

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Westphalen, zusammen, mit Dekret vom 18. August 1807. Dieses von
seinem Umfang wie von seiner Bevölkerungszahl her bedeutende Staats-
gebilde sollte ein Musterstaat werden und wurde ganz nach französischem
Vorbild organisiert. Es erhielt eine übersichtliche Gliederung in Départe-
ments, diese wiederum waren aufgeteilt in Distrikte, denen wiederum
Cantone als weitere Untereinheiten zugeordnet waren. Braunschweig
wurde damals Zentrum des Oker-Départements und dazu Sitz der Cantone
Braunschweig gegen Westen“
und
„Braunschweig gegen Osten“
; von
letzterem wurde Klein Schöppenstedt mitverwaltet. In der Nachbarschaft
gab es z. B.. den Canton Cremlingen mit mehreren zugehörigen Ortschaften,
dort hatte der Maire, der Bürgermeister, seinen Amtssitz. Seit dieser Zeit war
Klein Schöppenstedt sozusagen französisch.
Zum König von Westphalen ernannte Napoleon seinen jüngsten Bruder
Jérome, und Kassel wurde Residenzstadt. Der neue Musterstaat erhielt eine
moderne Verfassung nach französischem Vorbild, durch die Jahrhunderte
alte Traditionen mit wenigen Federstrichen beseitigt wurden. Dagegen
wurden mit ihr neue Grundsätze eingeführt, denen nur wenige Jahre zuvor
in der französischen Revolution zum Sieg verholfen worden war. Besonders
wichtig waren beispielsweise folgende: Gleichheit aller vor dem Gesetz;
Aufhebung aller Privilegien; vollständige Aufhebung aller Leibeigenschaft;
Beseitigung der Vorrechte des Adels (der sonst fortbesteht); Einführung eines
einheitlichen Steuersystems.
Gemäß der Verfassung wurde als Bürgerliches Gesetzbuch des Königreichs
Westphalen der „Code Napoléon“ vom 1. Januar 1808 an in Kraft gesetzt.
Durch ihn wurde also die Leibeigenschaft aufgehoben, ebenso das Jagd-
privileg, das Gesindezwangsrecht, auch die für die Bauern notwendige
Heiratserlaubnis durch ihre Herrschaft. Überdies gewährte ein königliches
Dekret vom 27. Januar 1808 auch den Juden die völlige Gleichberechtigung.
Tatsächlich hat die neue Staatsidee weithin rasch überzeugt und viele Bürger
für sich gewonnen. Jérome, obgleich König von Napoleons Gnaden, wurde
bei seinen Reisen in seinem Königreich anfangs überall begeistert begrüßt,
in Braunschweig errichtete man ihm sogar einen Triumphbogen bei seinem
Einzug. Zwanglos lässt sich damit auch die Passage über die fröhliche,
lockere Stimmung erklären, die Pape beim Besuch des Königs in Clausthal
vom 5. bis 7. August 1811 erlebt hat.