Seite 22 - Zwangsarbeit

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einsatzlage bei einigen Braunschweiger Rüstungsunternehmen wie NIEMO, Luther-
Werke und Viga-Werk wurde Ende November 1941 vom Rüstungskommando Braun-
schweig schon als so
angespannt
eingestuft, dass die Lösung des Problems nur in einem
überbezirklich
und schnellstens zu organisierenden Einsatz ausländischer Arbeitskräfte zu
suchen sei
27
. Verschärfend wirkten in dieser Situation Schnellaktionen wie „Rheingold“
im Januar 1942. Seitens der Wehrmachtsführung wurden vor dem Hintergrund der pre-
kären Situation an der Ostfront plötzlich und in großer Zahl Einberufungen ausgespro-
chen
28
. Hitlers „Schlüsselkräfte“-Erlass vom 19. Februar 1942, der vom neuen Rüstungs-
minister Speer durchgesetzt wurde, sicherte der Rüstungsindustrie zwar bis auf weiteres
einen Bestand qualifizierter Mitarbeiter
29
. Doch bereits im Mai 1942 war offensichtlich,
dass immer mehr Uk-gestellte Facharbeiter und alle „ungeschützten“ Arbeitskräfte der
Rüstungsbetriebe einberufen werden würden, was in den Betrieben Fertigungsausfälle
und
große Unruhe
auslöste
30
. Nur einen Monat später wurde die Beschäftigungssituation
der Rüstungsbetriebe seitens des Rüstungskommandos Braunschweig als
katastrophal
eingeschätzt
31
. Die im Zuge des Reichsverteidigungsgesetzes vom Februar 1943 ange-
ordneten Betriebsstilllegungen – im Land Braunschweig waren 1.000 Betriebe (auch
Rüstungsbetriebe) betroffen, in der Stadt allein 680 – konnten den Arbeitskräftemangel
genauso wenig nachhaltig beheben wie der Einsatz von Lazarettkranken und Justiz-
gefangenen
32
.
Bürokratische Instrumentarien zur sofortigen Behebung von Arbeitskräfteengpässen
in besonders dringenden Einzelfällen wie das 1943 praktizierte „Rotzettelverfahren“
erwiesen sich wegen Überbeanspruchung schnell als wirkungslos. Kein nennenswerter
Beitrag zur Entschärfung der sich zuspitzenden Facharbeiterkrise in der Rüstungsindust-
rie war auch die im Herbst 1943 erfolgte Umsetzung von ca. 1.300 Arbeitskräfte aus
dem „Zivilen Sektor“, u.a. Handel, Banken und Versicherungsbetriebe. Ihr schneller
Abzug rief vielfach Proteste der Betriebsführer hervor. Betriebsstilllegungen und kurz-
atmige Umsetzungsaktionen stellten sich als
Eingriffe in den letzten Rest der privaten Wirt-
schaftsfreiheit der Unternehmungen von einschneidender Bedeutung
33
dar. Der Einsatz aus-
ländischer Arbeitskräfte vermochte nicht den Mangel an Facharbeitern auszugleichen
34
.
Einzelne, unentbehrliche Fachkräfte wurden offensichtlich durch die Arbeitseinsatzgrup-
pe des Rüstungskommandos äußerst flexibel eingesetzt,
hin- und herjongliert
, wobei als
dauerndes Herumzanken
bezeichnete Meinungsverschiedenheiten mit den zuständigen
Arbeitsämtern sich immer häufiger einstellten
35
. Im Laufe des Jahres 1944 sahen sich vor
dem Hintergrund zunehmender Luftangriffe die Unternehmer zahlreicher Rüstungs-
betriebe in der Stadt Braunschweig zur Auslagerung in das weniger gefährdete Umland
27
RW 21-8 / 4: KTB 25.11.1941.
28
RW 21-8 / 5: KTB 19.1.1942, 25.1.1942.
29
Dietrich
Eichholtz
, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Bd. 2: 1941-1943. Berlin (Ost)
1985, S. 196 f.
30
RW 21-8 / 5: KTB 1942: Anl. [150], Lagebericht April 1942 zum Uk-Verfahren, 29.4.1942; ebd. Anl. [136],
Lagebericht Mai 1942 zum Uk-Verfahren, 30.5.1942.
31
Ebd.: KTB 1942: Anl. 21 [92], Schreiben Rüstungskommandeur an Mitglieder des Unterausschusses Bs.,
17.6.1942.
32
RW 21-8 / 7: KTB 1.1.1943 – 31.3.1943, S. 43, 23.
33
RW 21-8 / 9: KTB 1.7.1943 – 30.9.1943, S. 55.
34
Kap. 2.2.
35
RW 21-8 / 10: KTB 1.10.1943 – 31.12.1943, S. 71.