Seite 31 - Zwangsarbeit

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3. Die AOK-Meldekartei für ausländische Zivilarbeiter
– Versuch eines kollektiven Profils
Joachim Schmid, Ewa Schmid, Gudrun Fiedler
1
Die Meldekartei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Braunschweig. Eine reprä-
sentative Zufalls-Stichprobe
Wie auch bei deutschen Arbeitnehmern galt für alle ausländischen Zivilarbeiter vom
ersten Tag ihrer Beschäftigung an die gesetzlich vorgeschriebene Zwangs-Mitgliedschaft
in einer Krankenkasse. Deshalb hatte die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Braun-
schweig eine eigene Meldekartei für ausländische Zivilarbeiter angelegt. Sie enthält
49.229 Karteikarten und erfasst die ausländischen Arbeiter, die ab 1938 bis spätestens
Anfang April 1945 in Stadt- und Landkreis Braunschweig arbeiteten und damit bei die-
ser Ortskrankenkasse zwangsversichert waren. Ausnahmen gab es nur dann, wenn der
Betrieb eine eigene Betriebskrankenkasse hatte oder einer Innungskrankenkasse ange-
hörte. Ersatzkassen für Techniker, Werkmeister etc. sowie private Krankenkassen kamen
für ausländische Arbeiter mit Sicherheit nicht in Betracht.
So waren bei der AOK Braunschweig während des Krieges nicht versichert die
Betriebsangehörigen des Reichsbahnausbesserungswerks, des größten Arbeitgebers in
der Stadt Braunschweig, des Vorwerks Braunschweig der Volkswagenwerk GmbH, der
Braunschweigischen Maschinenbau-Anstalt AG (BMA), der Firma Brunsviga-Maschi-
nenwerke Grimme, Natalis & Co AG sowie des Braunschweiger Hüttenwerks
2
. Eigene
Krankenkassen
3
hatten auch die Reichspost, die Brauereien Feldschlößchen AG und
Hofbrauhaus Wolters AG, der Verlag Friedrich Vieweg & Sohn KG und die optischen
Werke Voigtländer & Sohn AG, die Maschinenfabrik Wilke Werke AG, die Aktien-
Zuckerfabrik Eichthal sowie die Zuckerraffinerie Braunschweig AG und die Braun-
schweig – Schöninger Eisenbahn AG, nicht zu vergessen die Konservenfabriken Max
Koch und A. W. Querner sowie F. Ch. Unger & Sohn. Es gab in Braunschweig eine Ver-
einigte Innungskrankenkasse, die u.a. alle Baugewerke versicherte
4
. Aus den Quellen
geht hervor, dass die Stadtverwaltung Braunschweig, das städtische Betriebsamt und die
Stadtwerke in der Wilhelmstraße sowie das Landes-Krankenhaus Celler Straße über
Betriebskrankenkassen verfügten. Arbeitskräfte, die bei Stadt- oder Landkreis Braun-
schweig oder gar der Landeskirche arbeiteten, ließen sich in der Meldekartei ebenso
wenig nachweisen wie andere Arbeitgeber aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes.
1
Peter Albrecht, Braunschweig, hat mit seinem fachlichen Rat und kritischer Begleitung diesen Aufsatz sehr
unterstützt. Frau Heike Kurde hat die Tabellen in Form gebracht.
2
Vgl. Braunschweigisches Adressbuch 1940-1942 (letzte Ausgabe während des Krieges).
3
Firmennamen vgl. StadtA Bs. E 35 Nr. 8/9 und Kopien persönlicher Unterlagen für den Handgebrauch bei
der Bearbeitung von Versicherungsfällen, übergeben durch Joachim Bormann, ehemaliger Mitarbeiter der
Landesversicherungsanstalt Braunschweig am 14. und 23.4.2003. Seine mündlichen Auskünfte waren uns
besonders wertvoll. Vgl. auch Bs. Adressbuch für das Jahr 1942. Braunschweig 1942, Abt. V, S. 4.
4
StadtA Bs. GX 12/190501, AOK-Melderegister.