Seite 58 - Zwangsarbeit

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einem Pferdewagen zu einem Sammelplatz gebracht. Von dort wurden wir nach Lodz
abtransportiert. In Lodz wartete auf uns ein Zug, der uns nach Deutschland bringen sollte.
Beim Einsteigen ging es nicht ohne Schreien und Stoßen seitens der deutschen Bewacher.
Es war ein überfüllter Personenzug, aus sechs oder sieben Waggons bestehend. Wir beka-
men nichts zum Essen. Es wurde nur ein wässriger Ersatzkaffee verteilt. Jeder, der etwas an
Lebensmitteln von zu Hause mitgebracht hat, teilte es mit den anderen. Wie lange wir unter-
wegs waren, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Wohin wir fahren, hat man uns auch
nicht gesagt. Aufgrund der Umstände konnten wir jedoch erraten – und alle waren sich da
einig – dass wir zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt werden. Welchen Zielort
man für uns bestimmt hatte, erfuhren wir erst, als wir auf dem Bahnhof in Braunschweig
angekommen waren. Dort warteten schon unsere deutschen Arbeitgeber auf uns. Die aus
Polen Angekommenen wurden mit ihren Namen laut aufgerufen. Unsere Familie wurde von
Herrn Gerhard H. aus Ahlum abgeholt. Er war mit einem Traktor mit Anhänger gekom-
men. Auf diesem Anhänger wurden wir nach Ahlum zu seiner Bauernwirtschaft gefahren.
Als wir ankamen, wurde uns unsere Arbeit erklärt und unsere Wohnung gezeigt. Wir beka-
men auch gleich etwas zum Essen. Von unserem Transport sind noch einige andere Fami-
lien dem Ahlumer Bauern zugeteilt worden
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.
Mit zunehmender Kriegsdauer war die lokale Nachfrage nach Arbeitskräften für
Rüstungsbetriebe in Polen stark angestiegen und viele Menschen wurden direkt vor Ort
verpflichtet. Die deutschen Besatzungsbehörden waren ermächtigt, jeden Polen zum
Arbeitsplatzwechsel zu zwingen. Als Druckmittel standen Inhaftierung von Familienan-
gehörigen und KZ-Haft zur Verfügung
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. Als die Ostfront immer näher rückte, wurden
die kriegswichtigsten Betriebe demontiert und mitsamt der polnischen Belegschaft ins
Reichsgebiet abtransportiert.
Am ersten Tag des Einmarsches in Lodz herrschte große Angst vor der mächtigen deut-
schen Besatzungsmacht. Täglich gab es Festnahmen und Razzien. Im Februar 1940 errichte-
te man in unserem Stadtteil ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung. Wir mussten unsere
Wohnung verlassen und umziehen. Von 1940 bis Frühjahr 1943 arbeitete ich in einer Muni-
tionsfabrik in Lodz. Im April 1943 mussten alle jüngeren Arbeiter dieser Fabrik zur Arbeit
nach Deutschland ausreisen. Es gab dagegen keinen Widerstand. Wir sind mit LKW’s gereist.
Die Fahrt verlief ruhig. Wir wurden gut behandelt, es gab keine Zwischenfälle. Unser Ziel war
Helmstedt. Ich war froh, als die Fahrt endlich vorbei war. Unsicher und ängstlich war ich
schon, denn ich konnte kein Wort Deutsch, was für mich eine große Unsicherheit bedeutete
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.
In Piatek gab es zwei Baufirmen: ‚Baltrup’ und ‚Wacker’. Ich arbeitete bei Wacker als Aus-
hilfe. Der Firmenbesitzer war ein Deutscher. Im Jahr 1941 gab es immer wieder Straßenraz-
zien. Zweimal konnte ich entkommen. Ich hatte immer Angst um meinen Bruder und meine
Mutter. Mein Vater war bereits in Deutschland, in Stade, meine Schwester in Güstrow. Zur
Arbeit wurde ich durch das Arbeitsamt angeworben. Zuerst in Lodz im Fluggerätewerk. Mein
Meister war ein guter Mensch, er kam aus Breslau. 1942 fingen die Deutschen an, die ganze
Produktion samt Maschinen und Arbeitern nach Deutschland zu verlegen. Am 1. Mai lande-
ten wir in Berlin, hier durften wir sogar ins Kino für Ausländer. Wir besichtigten dort auch den
Zoo. Den Buchstaben »P« hatten wir noch nicht tragen müssen. Dann sind wir weiter nach
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Morislaw Boik aus Dlutow, Bezirk Lodz, damals 13 Jahre alt.
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Spoerer
(wie Anm. 4) S. 49f.
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Zofia Marciniak aus Lodz, bei der Ausreise 33 Jahre alt.