Seite 18 - Juedische_Familien

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und Freyheiten genießen, wie Unsere übrigen Unterthanen.
Gültige Gesetze verändern Vor-
urteile von Menschen nicht. In Braunschweig lebte von 1806 bis 1808 der französische
Schriftsteller Stendhal. Er war als Offizier der französischen Verwaltung tätig. In seinem
Tagebuch berichtet er über seine Bekanntschaft mit dem Braunschweiger Juden Israel
Jacobsen, dem Gründer der Seesener Reformschule. Er beschreibt ihn als den einzigen
seiner Bekannten
, welcher wirklich Geist
gehabt habe
.
Daneben besäße er neben zwei Mil-
lionen auch die ganze Gerissenheit eines Juden. Umschleiche man ihn lange genug, könne
man ihn dazu bringen, Zehntausend auszugeben:
In seinem Haushalt aber bleibt er immer
knickerig wie ein Jude.
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Nach dem Ende der Franzosenzeit war die rechtliche Stellung der Juden nicht ein-
deutig geklärt. Der Braunschweigische Staat unterwarf sie zwar der Steuer- und Militär-
pf licht, gestattete ihnen aber nicht das Bürgerrecht.
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Die Landschaftsordnung von 1832,
das Grundgesetz des Landes Braunschweig, regelte die rechtliche Gleichberechtigung
erst allmählich. Ein Gesetz vom 23. Mai 1848 brachte den Durchbruch:
Alle Rechtsun-
gleichheiten, sowohl im öffentlichen als im Privatrechte, welche Folgen des Glaubensbekennt-
nisses sind, werden – vorbehaltlich der noch bestehenden Parochialgerechtsame und der übri-
gen kirchlichen Verhältnisse – hierdurch aufgehoben.
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Als die Juden Familiennamen annehmen mussten, ließen sich bis März 1810 in Wol-
fenbüttel 21 Familien registrieren. Der Wolfenbütteler Stadtmagistrat versagte den jüdi-
schen Bürgern das versprochene Bürgerrecht. Sie sollten nur
Schutzverwandte
sein. Da
die Stadt Braunschweig ihren jüdischen Einwohnern keine Schwierigkeiten bei der
Erwerbung des Bürgerrechts machte, stellte der seit 1802 in Wolfenbüttel lebende Kauf-
mann Lippmann Wolff Reis am 21. November 1828 den Antrag, in seinem Wohnort als
Bürger aufgenommen zu werden.
Die Stadtverordneten lehnten das Gesuch am 10. Dezember mit der Begründung ab,
dass die
Bekenner der jüdischen Religion in Wolfenbüttel
zu keiner Zeit als Bürger, sondern
immer nur als
Schutzverwandte
zugelassen seien. Selbst wenn sie ein bürgerliches Gewerbe
betrieben oder die Konzession zum Ankauf eines Grundstückes erhielten, seien sie nie in
die Bürgerrolle eingetragen und hätten auch nie den
Bürgereid geleistet
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.
Auch die Ein-
schaltung der Herzoglichen Kammer bewirkte keine Änderung. Im Januar 1833 versuchte
es Reis erneut. Er erhielt die Antwort,
daß es bei der Resolution vom 10. Dezember 1829 sein
Bewenden haben müsse
22
.
Auch die Wolfenbütteler Kreisdirektion lehnte den Antrag einige
Monate später ab. Reis, ein angesehener Geschäftsmann, ließ nicht locker. Er versuchte es
im Juli 1835 erneut und bekam wieder einen ablehnenden Bescheid. Da die Kreisdirektion
das Gesuch aber jetzt befürwortete, erhielt der Kaufmann die Aufforderung, im Rathaus
den Bürgereid zu leisten. Am 25. November 1835 nahm er als erster Wolfenbütteler Jude
einen Bürgerschein in Empfang.
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Zu dieser Zeit wohnten in der Stadt 88 Juden.
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18
Stendhal, Tagebuch in Braunschweig, München 1919, S. 51 f.
19
Vgl. Schmid, Joachim, Landesrabbinat und Landesrabbiner im Herzogtum Braunschweig, in: Brauschwei-
gisches Jahrbuch 2000, S. 106.
20
Ritterhoff, Claus, in: Lessings „Nathan” und die jüdische Emanzipation im Lande Braunschweig, Lessing-
Akademie Wolfenbüttel 1990, S. 68.
21
Schulze, Hans, Beiträge, S. 52.
22
Ebd., S. 53.
23
Ebd., S. 54.
24
Asaria, Die Juden, S. 438.