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Reis geriet mehrfach ins Visier von Leuten, die sein Streben nach Gleichberechtigung
mit judenfeindlichen Äußerungen begleiteten. Im Zusammenhang mit den so genannten
„Hep-Hep”-Unruhen, als in Deutschland zum ersten Mal seit dem Mittelalter wieder
umfassende Judenverfolgungen stattfanden, versammelten sich 1820 Gärtnergesellen vor
seinem Haus. Der Stadtkommandant ließ eine Doppelwache aufziehen. Zu Gewalttätig-
keiten kam es nicht.
Die Zusammensetzung der Protestierenden, die ja eindeutig zu den Unter-
privelegierten und Deklassierten der Zeit gehörten, deutet in Umrissen mögliche Gründe an; die
Kanalisierung des Unbehagens und Protestes auf die Juden hin funktionierte
.
25
Als Reis mit
Honoratioren der Stadt in einem öffentlichen Billardsaal spielte, rempelte ihn ein Bürger
an und bemerkte:
Beiseite Jude!
Reis ging vor Gericht und gewann:
Die Benennung eines
Menschen nur bei seiner Religionszugehörigkeit habe „etwas Gehässiges”, der Beleidiger wurde
zu einer Sühne und Entschuldigung verurteilt.
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Während des Wolfenbütteler Schützenfestes
1868 gelang Reis’ Sohn Nathan der Königsschuss. Die Schützengilde verweigerte ihm die
Königswürde. Reis klagte und gewann. Im Juni 1886 feierte die Samsonschule ihr 100-jäh-
riges Bestehen. Die einstige Religionsschule hatte sich zu einer auch im Ausland anerkann-
ten Bildungseinrichtung entwickelt. Gemeinsam mit der Jacobsen-Schule in Seesen trug
sie wesentlich zum Ansehen des Landes Braunschweig als Mittelpunkt jüdischer Bil-
dungskultur bei. Ihre besondere Bedeutung lag später in der
Erschließung von Berufen für
Juden, die ihnen vor der Emanzipation im 19. Jahrhundert, also vor der Ausformung der moder-
nen bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland verschlossen war
27
.
Zur Erfüllung der ständig steigenden Nachfragen wurde am Ende des Neuen Weges
ein neues Gebäude errichtet. Über die Einweihung des imposanten Ziegelbaues berichtete
das Wolfenbütteler Kreisblatt am 4. September 1896 unter anderem:
Die Feier leitete der
Schülerchor mit dem Gesange „Hoch tut euch auf, ihr Pforten der Welt” ein, worauf Landesrab-
biner Dr. Rülf die sehr eindrucksvolle Weiherede über Psalm 27 hielt. Als Mitglied der Adminis-
tration gab sodann Herr Justizrat Dr. Magnus einen Überblick auf die Geschichte der Samson-
schule, deren Stifter (durch die 1807/08 abgeschlossene Zusammenlegung der Samsonschen
Institute) die Brüder Herz Samson und Philipp Samson sind. Anfangs eine Religionsschule des
Philipp Samson hatte als Administrator Isaac Herz-Samson die Leitung der Schule dem Inspek-
tor übergeben, der die Bildungseinrichtung in eine deutsche Erziehungsanstalt umgewandelt hat,
deren Ruf sich bald weithin ausdehnte. Dank gebühre vor allem Herrn Leopold Samson, der die
geistige Triebfeder des Baues gewesen und mit aufopfernder Hingabe für denselben gearbeitet
habe. Der Redner übergab dann die Anstalt Herrn Direktor Tachau, der in seiner Ansprache
betonte, daß für die Anstalt, den Traditionen ihrer Stifter getreu, die Grundlage der Erziehung die
Gottesfurcht bilde. Auf dieser Grundlage sittlich gute Menschen heranzubilden sei das Endziel.
Aber auch die Liebe zum Vaterland sei eine wichtige Aufgabe der Erziehung in der Samsonschule
– sie wolle Schüler heranbilden, die sich des deutschen Namens alle Zeit würdig erweisen.
28
Einige Samson-Schüler vollbrachten in ihrem Leben überragende Leistungen und
erlangten Berühmtheit: Leopold Zunz (1794-1886)
29
, Begründer der Wissenschaft des
Judentums, Verfasser zahlreicher Werke über jüdische Kultur, besuchte die Schule von
25
Ebeling, Die Juden, S. 380.
26
Ebd., S. 381.
27
Vgl. Busch, Ralf, Über die Samsonschule zu Wolfenbüttel, in: Lessings „Nathan” und die jüdische Eman-
zipation im Lande Braunschweig, Lessing-Akademie Wolfenbüttel 1990, S. 63.
28
Schulze, Hans, Beiträge, S. 68.
29
Vgl. Selle, Kurt (Hg.), 450 Jahre Große Schule, Eine Festschrift, Wolfenbüttel 1993, S. 68 ff.