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aus diesem einst befohlenen Versteck heraustreten und daran denken, ein Gotteshaus zu
bauen, das denen der christlichen Kirchen nicht nachstand.
Der Bau der neuen Synagoge in der Lessingstraße begann am 1. Juli 1892. Den
Grundstein legte die Gemeinde am 16. August. Der Bau wurde nach Plänen des Braun-
schweiger Architekten und Geheimen Hofrats, Professor Constantin Uhde, errichtet:
Auffällig ist die Doppelturmfassade, deren „textiles“ Muster auf maurische Dekorationen hin-
weist. Deutlicher als das Äußere wies der Innenraum diese Einf lüsse auf. Uhde folgte dem
Anlageschema einer dreischiffigen Emporenhalle, das in Kassel in den Synagogenbau einge-
führt worden war. Eine Orgel auf der Westempore entsprach dem reformierten Ritus der
Gemeinde.
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Das Wolfenbütteler Kreisblatt berichtete ausführlich über die Bauausführung und
die Einweihung am 22. Juni 1893. Errichtet worden sei eine
Zierde
der Stadt. Es muss
eine Ehre gewesen sein, am Bau dieses 40 Jahre später abschätzig
Judentempel
genann-
ten Bauwerks beteiligt gewesen zu sein. Alle Handwerker, darunter die noch heute exis-
tierende Malerfirma Heinemann, wurden namentlich erwähnt. Ihrem Geschäftsinhaber
bekundete die Zeitung besondere Anerkennung für die reichhaltige Malerei im Innern.
Im Tempel
sind 200 Sitzplätze für männliche Personen und auf der Empore 84 Sitzplätze für
Frauen. Am Haupteingange der Synagoge befindet sich eine große Halle, von dieser führen
Treppen zu den Emporen. Hinter der großen Halle folgt eine große Vorhalle, woran sich die
Garderobenräume anschließen. Von der kleinen Vorhalle gelangt man in den Tempelraum,
an der Hinterseite sind zwei Nothausgänge angebracht.
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Zur Einweihung hatten sich viele
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingefunden:
Vertreter des Stadtmagistrats, die
Stadtverordneten, die Direktoren des herzoglichen Lehrerseminars und der städtischen Real-
schule, auswärtige Kuratoren der Samson-Schule, viele geladene Bürger aus unserer Stadt
und die am Bau betheiligt gewesenen Handwerker.
Nach einer Ansprache überreichte
Kreismaurermeister Dauer dem Vorsteher des Synagogenvorstandes, Bernhard Cohn,
den vergoldeten Schlüssel der Tempeltür. Dieser gab ihn auf einem seidenen Kissen sei-
ner Tochter Cilly, die einen Prolog sprach:
O dich, der jenen Schüssel führet
Zu unserm Herzen, unserm Geist.
Der uns mit weisem Wort regieret,
Den rechten Weg uns gehen heißt.
Auch dieser Schlüssel Dir zu Theil,
Der du uns zeigst den Pfad zum Heil,
O, öffne uns die Pforte.
Landesrabbiner
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Dr. Rülf schloss die Tempelpforte auf. Nach dem Gesang des Vorbe-
ters erfolgte die Einholung der Thora Rollen, die vom Rabbiner, dem Vorbeter und den
Gemeindeältesten unter Chorgesang durch das Gotteshaus getragen und dann in die
heilige Lade eingehoben wurden. In der Weiherede, die sich durch Gedankenreichtum
und religiöse Empfindung ausgezeichnet habe, behandelte der Rabbiner
das Wesen und
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Text einer Ausstellungstafel in der vom Kulturstadtverein Wolfenbüttel im Rahmen des „Jahres der Kir-
chen“ im Juli 2008 veranstalteten Ausstellung „Und ich wurde ihnen zu einem kleinen Heiligtum“ – Syn-
agogen in Deutschland. Vgl: Cohen-Mushlin, Aliza/Thies, Harmen H. (Hg.), Synagogenarchitektur in
Deutschland, Dokumentation zur Ausstellung, Petersberg 2008, S. 219 f.
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Wolfenbütteler Kreisblatt, 22.6.1893.
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Vgl. Schmid, Landesrabbinat, S. 101.