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Leben
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genommen worden. Die Zeit der Emanzipation der Juden habe in
Deutschland
etwa 120 Jahre gedauert, die vollständige Ausgrenzung, bis zur Konsequenz der physischen
Vernichtung, brauchte keine zehn Jahre
287
.
Goebbels hatte am 13. März 1933 das „Reichsministerium für Volksaufklärung und
Propaganda“ gegründet und die Abteilung „Abwehr“ eingerichtet. Um die Notwendigkeit
dieser Einrichtung zu beweisen, musste ein Grund gefunden werden. Der bot sich, als die
ausländische Presse zunehmend kritisch über die aktuelle Lage in Deutschland berichtete,
über die Behandlung politischer Gegner und der jüdischen Deutschen. Um die bereits
geplante Entrechtung der Juden als Reaktion auf Maßnahmen des
deutschfeindlichen Welt-
judentums
begründen zu können, hoben die einschlägigen Presseorgane die Entgegnungen
ausländischer jüdischer Organisationen besonders hervor. In der Sprache der Nationalso-
zialisten gerierte die berechtigte Kritik am inländischen Terror zu einer internationalen
Verschwörung der Juden:
Das Judentum der ganzen Welt hatte sich mit den „Emigranten“, die
ihr schlechtes Gewissen über die Reichsgrenzen ins Ausland getrieben hatte, zu einem widerwär-
tigen Verleumdungsfeldzug gegen die nationalsozialistische Revolution zusammengeschlossen.
Die von jüdischen Kreisen im Ausland verbreiteten Lügen über angebliche Juden-Pogrome und
nationalsozialistische Greuel in Deutschland verfolgten den hinterhältigen Zweck, die Anerken-
nung der nationalsozialistischen Regierung vor der Welt soviel wie irgend möglich zu erschwe-
ren.
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Ende März empfing Hermann Göring die Vertreter der Auslandspresse, um die
Berichterstattung in der Welt zu beeinf lussen. Er verglich die jetzige Revolution mit der
Revolte von 1919
und hob die angebliche Disziplin hervor, mit der die Nationalsozialisten
ihren Umsturz durchführten. Wohlwollend kam er den ausländischen Journalisten ent-
gegen und gab zu, dass es
einige bedauerliche Zwischenfälle
gegeben habe. Man wate in
Deutschland nicht in Blut, und Berichte über Schändungen jüdischer Einrichtungen seien
nichts als
maßlose Entstellungen und Hetze
. Es sei weiter nichts geschehen, als dass einige
Leute aus ihren Pfründen abgesetzt und dass einige Tausend Kommunisten (Göring wört-
lich:
Vielleicht wird die Welt es doch einmal Deutschland danken müssen, da die kommunisti-
sche Welle auf deutschem Boden zum Stillstand gebracht und die abendländische Kultur geret-
tet worden ist.
) von der Polizei verhaftet worden seien. Die Verhafteten würden genau so
behandelt wie andere Gefangene. Die Regierung, so log er, werde niemals dulden,
daß ein
Mensch nur deshalb irgendwelchen Verfolgungen ausgesetzt werden solle, weil er Jude sei
. Der
jüdische Geschäftsmann könne in Ruhe seinen Geschäften nachgehen.
Jüdische Beamte
habe man entlassen, weil sie Sozialdemokraten gewesen seien
.
Heute
(27. März 1933, J.K.)
wären
noch eine ganze Reihe von Juden in Staatsstellungen.
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Gegen die Greuelpropaganda
im Ausland habe die Regierung nun eine energische Offen-
sive
auf der ganzen Linie
begonnen, berichtete die Wolfenbütteler Zeitung am 27. März. Der
Auslandschef der NSDAP habe im Auftrage des Kanzlers in einem
transatlantischen Tele-
phon-Interview
die Gerüchte über Judenverfolgungen in Deutschland als Lügen entlarvt.
Dieses Dementi war allerdings die eigentliche Lüge, die sogar die Leser der Wolfenbütteler
Zeitung mit Leichtigkeit hätten widerlegen können. Hatte die Zeitung doch 14 Tage vorher
ausführlich über den
Warenhaussturm in Braunschweig
berichtet und fast detailliert beschrie-
286
Benz, Bilder, S. 54.
287
Ebd., S. 56.
288
Rühle, Gerd, Das Dritte Reich, Das erste Jahr 1933, Berlin 1934, S. 96 f.
289
Wolfenbütteler Zeitung, 27.3.1933.