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der Wolfenbütteler Freimaurerloge „Wilhelm zu den drei Säulen“
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an, Max Ilberg war
Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Die Juden haben in Wolfenbüttel seit jeher verteilt
im Stadtgebiet neben ihren christlichen Nachbarn gewohnt. Das Band der jüdischen
Gemeinschaft bestand aus den vielfältigen sozialen und gesellschaftlichen Kontakten
sowie dem Besuch der Synagoge in der Lessingstraße. Verschiedentlich wurde auch die
Braunschweiger Synagoge aufgesucht. Ralf Busch berichtet, es habe sich wegen der gerin-
gen Gemeindegröße kein ausgeprägtes jüdisches Vereinswesen entwickelt. Die Armen-
kasse der Gemeinde sei vernachlässigt worden, und nach 1896 habe es eine Chewra
Kadischa gegeben, eine Beerdigungsbrüderschaft. Seit 1895 sei ein israelitischer Frauen-
verein aktiv gewesen, und die zionistische Vereinigung Wolfenbüttels von 1913 habe sich
mit Gleichgesinnten aus Braunschweig vereinigt. Die Ortsgruppe des Centralvereins
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zählte im März 1938 zehn Mitglieder.
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1913 wohnten im Landkreis Wolfenbüttel 350 jüdische Bürgerinnen und Bürger, 301
von ihnen in der Stadt Wolfenbüttel. Die Mehrheit der Bevölkerung (circa 81.000) waren
„Lutheraner”. 4318 Christen gehörten der katholischen Kirche an.
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Einen eigenen Rabbi-
ner besaß die kleine Wolfenbütteler Gemeinde nicht.
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Bei der Volkszählung 1933 regis-
trierten die Behörden in der Stadt 112
Israeliten
. Im Landkreis Wolfenbüttel gehörten 171
Bürgerinnen und Bürger der jüdischen Religion an. Ihren Lebensunterhalt verdienten die
meisten jüdischen Wolfenbütteler mit Handelsunternehmen und Einzelhandelsgeschäften,
besonders auch im Viehhandel.
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Die jüdischen Wolfenbütteler sind nach 1933 mehrfach
in ungenau erhobenen Listen erfasst worden. Es fehlen Personen, manchmal sind Namen
von Liste zu Liste unterschiedlich buchstabiert.
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Eine Aufstellung vom ersten August
1939 enthält die Namen von 48 Männern und Frauen. Kinder sind nicht aufgeführt. Ein
Verzeichnis vom 28. Februar 1941 führt 53 Namen auf. Juden haben Wolfenbüttel nicht
nur verlassen, sondern sind bis Anfang der 1940er Jahre aus unterschiedlichen Gründen
auch zugezogen. Mündliche Überlieferungen gibt es nur wenige, da diejenigen Menschen,
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Mitteilung von Roger Reckewell, Juli 2009. Über den sich entwickelnden Antisemitismus berichtet Roger
Reckewell im Jubiläumsbuch der Wolfenbütteler Loge:
Seit 1924 forderte die neue Großloge in ihrem Grund-
gesetz, daß nur Männer aufgenommen werden dürfen, die „auf dem Boden der christlichen Anschauung stehen
und im deutschen Volkstum wurzeln“. Der Nachweis sollte durch eine ehrenwörtliche Erklärung des Suchenden,
daß seines Wissens seine Eltern und Großeltern deutschen Blutes waren, erbracht werden.
(Reckewell, Roger
und andere, 150 Jahre Freimaurer in Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 1997, S. 62).
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Busch, Ralf, zur jüdischen Gemeinde Wolfenbüttel, in: Obenaus, Herbert (Hg.), Historisches Handbuch
der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band II, Göttingen 2005, S. 1577.
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Vgl. Beiträge zur Statistik des Herzogtumes Braunschweig, Braunschweig 1913, S. 62 f.
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Samuel Meier Ehrenberg berichtet, dass Philipp Samson zu Zeiten der Schule und der Synagoge in der
Harzstraße einen „Hausrabbiner“ angestellt hatte. Vgl. Richarz, Monika (Hg.), Jüdisches Leben, S. 343.
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Aus einem Tonbandinterview mit dem Landwirt Otto Kassel aus Salzgitter-Thiede: Wir verkauften jedes
Jahr neben den Feldfrüchten auch einige Jungbullen, Kühe, Kälber und Schweine, entweder direkt an den
Schlachter oder an die Viehhändler. Es waren meistens Juden aus Wolfenbüttel. Hugo Cohn, Schloss,
Pohly und Neuburger. Wir haben viel und gern mit den Juden gehandelt, es waren alles prima Leute. Ein-
mal kaufte ich eine trächtige Kuh, ein paar Tage später wurde das Kalb totgeboren. Da rief ich an und
Pohly sagte: „Kommen Sie, suchen Sie sich eine andere aus!“ Ein andermal hatte ich eine Kuh zu verkau-
fen. „Na, was wird sie bringen?“, fragte ich. „Mehr als 48 Mark wird sie nicht bringen. Soll ich sie verkau-
fen? Wollen Sie das?“ fragte mich Hugo Cohn. „Gut“, sagte ich, und er nahm die Kuh mit. Dann kam er
Nachmittag wieder und sagte: „Lachen Sie nicht Herr Kassel, sie hat keine 48, sondern 53 Mark gebracht.“
Zehn Mark war sein Verdienst für den Transport, Verkauf, Versicherung, usw. (Vgl. Bein, Reinhard,
Braunschweig, Stadt und Herzogtum, Braunschweig 1985, S. 126).
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Auf der Gedenktafel auf dem Jüdischen Friedhof ist der Name Schaye als „Schayer“ eingetragen.