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anstieg. Nach dem Terror der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 gab es
nur noch wenige Juden, die nicht einen Weg aus Deutschland heraus suchten.
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Erste Fluchtzentren waren vor allem die Tschechoslowakei, Frankreich und die
Schweiz, ab 1938 besonders für Kinder Holland und Großbritannien. Durch den Über-
fall Deutschlands auf seine Nachbarn mussten die Flüchtlinge weiterf liehen. Besondere
Bedeutung erlangten die USA und südamerikanische Länder und das unter britischer
Verwaltung stehende Palästina sowie Ostafrika. Für die Einreise nach Palästina galten
Einwandererkategorien, deren Quoten zweimal jährlich festgelegt wurden. Nur die Ein-
wanderung von „Kapitalisten“, Einwanderern im Besitz von 1000 Palästina-Pfund,
unterlag keiner Quotenregelung.
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Das Verlassen Deutschlands ab 1933, immer wieder
eher als „Auswanderung“ und nicht als Flucht bezeichnet, was es ja tatsächlich war,
beinhaltete zwei große Schwierigkeiten:
1. Finanzierung der Auswanderung und Erlangung der erforderlichen Ausreisebeschei-
nigungen durch deutsche Behörden.
2. Vorweisen genügender finanzieller Mittel oder die Bestätigung, durch Verwandte im
Einreiseland, abgesichert zu sein – und die Einreisevisa der Zielländer nebst Durch-
reisegenehmigungen der Transitländer.
Zentrale Leitstellen für die jüdische Emigration waren der „Hilfsverein der Juden in
Deutschland“
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und das „Palästina-Amt“. Am 1. Oktober 1941 ließ Heinrich Himmler
die Flucht aus Deutschland nicht mehr zu, es begann die physische Vernichtung der
Menschen. Obwohl die Auswanderung der Juden noch erwünscht war, bereiteten die
Behörden den Ausreisewilligen erhebliche Schwierigkeiten und erteilten Genehmigun-
gen unter entwürdigenden Bedingungen. Es war klare Politik, die Vermögen der Juden
einzuziehen. Die bereits 1931 eingeführte „Reichsf luchtsteuer“ war gegen jene gerichtet,
die sich den Folgen der Wirtschaftskrise durch Flucht ins Ausland entziehen wollten.
Die Nazi-Regierung verschärfte diese Steuer 1934 zu einem Instrument der Ausplünde-
rung. Vermögen von 50.000 RM aufwärts waren betroffen. Betrug der Steuersatz
zunächst 25 Prozent, kletterten die Abschläge bis auf schließlich 85 Prozent und später
noch höher.
Nach dem Pogrom wurden die wirtschaftlichen Maßnahmen ständig weiter ver-
schärft. Aktien oder Wertpapiere mussten bei einer Depotbank hinterlegt werden.
Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine und Perlen durften Juden
ebenfalls nicht mehr erwerben, verpfänden oder verkaufen. Sie mussten diese ab 21.
Februar 1939 binnen zweier Wochen an die vom Reich eingerichteten öffentlichen
Ankaufstellen abliefern.
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Als Annahmestellen wurden staatliche Pfandleihanstalten
560
Vgl. Vogel, Rolf, Ein Stempel hat gefehlt, Dokumente zur Emigration deutscher Juden, München 1977,
S. 40.
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Vgl. Buchhändler-Vereinigung Frankfurt, Die jüdische Emigration aus Deutschland 1933 – 1941, Die
Geschichte einer Austreibung, Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt unter Mitwirkung
des Leo Baeck Instituts, New York, Frankfurt 1985, S. 143. Anfangs mussten für 1000 Palästina-Pfund
nach dem offiziellen Wechselkurs 12.500 RM auf das Sperrkonto eingezahlt werden, bis Mitte 1935
erhöhte sich dieser Betrag auf 15.000 RM, erreichte 1937 20.000 RM und gegen Ende des Jahres 1938
die bis zum Kriegsausbruch gültige Summe von 40.000 RM. (Vgl. Henke, Klaus-Dietmar (Hrsg.), Die
Dresdner Bank im Dritten Reich, München 2006, S. 346).
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Die nächste Beratungsstelle dieser Organisation befand sich in Hannover. Das „Palästina-Amt“ hatte sei-
nen Sitz in Berlin.
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Vgl. Walk, Sonderrecht, S. 283.