Seite 47 - Juedische_Familien

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Betr.: Abbruch von Wohnhäusern in der Langen Straße. Unter Bezugnahme auf die durch
meinen Referenten, Provinzialbaurat Unger, vorgenommene örtliche Überprüfung ordne ich
hiermit an, daß im Zuge der Verlegung der Reichsstraße 4 im Stadtgebiet Wolfenbüttel wei-
tere Wohnhäuser nicht mehr abgerissen werden dürfen. Sollte ein Teil der für den Abbruch
vorgesehenen Wohnhäuser bereits geräumt sein, bitte ich sicherzustellen, daß diese Wohnhäu-
ser für die Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte beziehungsweise für die vorüberge-
hende Unterbringung von noch umzusiedelnden Einwohnern bereitgehalten werden. Durch-
schlag an Baurat Wein.
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Mit den „umzusiedelnden“ Einwohnern waren fraglos die noch in Wolfenbüttel
lebenden Juden gemeint. Die Braunschweiger Tageszeitung berichtete Anfang August
1939 über den Verkauf vieler Grundstücke, darunter auch das des
Kunstmalers Bücher
mit der Hausnummer 37.
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Zwei Wochen später veröffentlichte die Zeitung historische
Informationen über einige Gebäude. Die meisten Häuser, in denen früher
Arbeiter und
kleine Beamte
gewohnt hätten, seien
zum größten Teil äußerlich und auch innen in einem
derartigen Zustand, daß wir nun froh sein können, daß sie endlich verschwinden
.
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In einem
Prüfungsbericht beschrieb das städtische Bauamt den Zustand einiger Häuser, darunter
von zwei derjenigen, in denen danach jüdische Wolfenbütteler wohnen mussten. Lange
Straße 34:
Im Hintergebäude ist die Schwelle im Terrain liegend völlig verfault. Die Fach-
werksstiele stehen ohne Unterstützung. Die auf liegende Last der drei Stockwerke wird von der
Bruchstein- und Gipsstückenausmauerung der Fachwerksfache getragen. Das Rahmholz die-
ser alten Wand ist frisch gebrochen, an einer alten Brandstelle ist der Verband der Hölzer
untereinander aufgehoben. Dieser Gebäudeteil dem Frost- und Regenwetter jetzt ausgesetzt
wird diesen Anforderungen nicht widerstehen und muß abgebrochen werden.
Im Oktober
1941 bezogen Jacob und Rosa Berger dieses zur letzten Wohnstätte noch nicht ver-
schleppter Juden umgewidmete Haus.
Über das Haus Lange Straße 10 urteilte das Bauamt:
Die Zaunwandausmauerung der
Fachwerksfache des zweiten Obergeschosses und des Dachgeschosses sind vom Wetter ausge-
waschen und werden nach kurzer Zeit herausfallen. Die Balkenlagen des Erd- und I. Oberge-
schosses sind gestoßen und haben untereinander an den gestoßenen Stellen keine Verbindung,
sodaß nach Freilegung der Wand leicht Verschiebungen vorkommen können. Die Schwelle an
der nördlichen Wand liegt völlig im Terrain und sind die Unterstützungsstiele seitlich stark
ausgewichen. Es ist zu befürchten, daß die durch Abbruch des Nachbargrundstücks jetzt frei-
liegende Wand durch Witterungseinf lüsse – Frost und Regen – nach kurzer Zeit zusammen-
fällt. Ein Abbruch des Gebäudes ist daher notwendig.
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Laut Adressbuch 1937 war das Haus von sechs Parteien bewohnt, darunter auch
vom Drogisten Andreas R. Er weigerte sich nun, das Haus zu verlassen und begann,
Reparaturarbeiten vorzunehmen. Trotz der Räumungsverfügung bat er das Bauamt,
dort weiterhin wohnen bleiben zu dürfen. Baudirektor Wein informierte darüber Bür-
germeister Ramien am 25. November 1941 und wies erneut auf die starke Baufälligkeit
des Hauses hin:
Der Auszug des Mieters R. muß daher durchgeführt werden, damit dieser
der Gefährdung entzogen wird
. Am 29. November 1941 forderte Wein den Mieter R.
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StA Wf, 34 N, Fb. 9, Nr. 1906.
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Braunschweiger Tageszeitung, 1.8.1939.
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Ebd., 11.8.1939.
578
StA Wf, 34 N, Fb. 9, Nr. 1906.