Seite 154 - Kirchenbuch

Basic HTML-Version

818
K l aus Jürgens
Ein 1768 erlassenes Reglement des Herzogs Carl I. (1735-1780) verlangte, dass außer-
halb von Braunschweig und Wolfenbüttel jede Amtshandlung eines katholischen
Geistlichen vorher dem evangelischen Ortspfarrer angezeigt werden musste, auch
hatten die Katholiken die Stolgebühren (Gebühren für vorgenommene Amtshandlun-
gen) an die evangelischen Geistlichen zu entrichten. In der Zeit des Königreichs West-
falen wurde dieses Reglement vorübergehend aufgehoben. Nach den Freiheitskrie-
gen trat auch für das Herzogtum Braunschweig § 16 der Akte des Deutschen Bundes
in Kraft, nach dem die Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien keinen
Unterschied im Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte begründen durfte.
Zwar sah auch die „Neue Landschaftsordnung“ von 1832 die uneingeschränkte Reli-
gionsfreiheit vor; tatsächlich nahm die Ungleichheit der Konfessionen nach der fran-
zösischen Zeit jedoch zunächst wieder zu. Vielerorts wurden wieder Stolgebühren
von Katholiken, Juden und Reformierten erhoben. Erst 1864 erfolgte die endgültige
Aufhebung dieses Zwangs. Dennoch brachten die „Katholikengesetze“ von 1867 und
1902 weitere Einschränkungen, so durften z. B. Taufen von Kindern katholischer El-
tern von einem katholischen Pfarrer an Orten, an denen sich keine katholische Kirche
befand (also außerhalb von Braunschweig, Wolfenbüttel oder Helmstedt), nur nach
vorheriger Anzeige bei dem betreffenden Geistlichen der Landeskirche vorgenom-
men werden. Eine Zuwiderhandlung konnte eine Strafe von 30 Mark oder eine Haft
bis zu 14 Tagen nach sich ziehen.
2
Erst die nach dem 1. Weltkrieg erfolgte Trennung von Staat und Kirche brachte den
Katholiken im Land Braunschweig die völlige religiöse Freiheit und die Gleichstellung
mit den Evangelischen. Aus dem mehr oder weniger heftigen Gegeneinander, wobei
auch der Kulturkampf mit den antirömischen Tendenzen die geistige Haltung der hie-
sigen evangelischen Bevölkerung stark bestimmt hatte, wurde nun ein Nebeneinan-
der, das aber weiter sehr distanziert war. Die Kenntnis von einander war gering, Vor-
urteilebestimmtendenUmgangmit einander. DieKatholikengaltendenEvangelischen
als falsch, und die Evangelischen waren in den Augen der Katholiken laue Christen.
Mit der Einführung des Codex Juris Canonici 1917 war die strenge katholische Misch-
ehengesetzgebung mit ihrer Tendenz der Abgrenzung gegen alles Nichtkatholische
auch im Braunschweiger Land zur Geltung gekommen, und nachdem 1925 die öku-
menische Bewegung („Life and Work“) in Stockholm ins Leben getreten war und
Papst Pius XI. (1857-1939) in seiner Enzyklika „Mortalium animos“ 1928 den Katholi-
ken jegliche Teilnahme an Veranstaltungen mit den Protestanten verboten hatte, war
auch das Verhältnis der Theologen beider Kirchen zu einander äußerst frostig. Selbst
in der Zeit des Nationalsozialismus führte die Behinderung der Kirchen durch den
Staat kaum zu einer Annäherung.
Dafür brachten gemeinsame Kriegs- und Gefangenschaftserlebnisse die Menschen
aus beiden Kirchen einander näher und weckten hier und da das Verlangen nach