Seite 38 - Zwangsarbeit

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Die vorliegende Quelle eröffnet gegenüber Meldungen der Arbeitsämter und ande-
rer Statistiken, die nur Momentaufnahmen wiedergegeben, Einblicke in weitere
Zusammenhänge. So können Daten für einzelne Betriebe ausgewiesen werden, aber
auch Aussagen über Altersstruktur, Herkunft und Krankheiten gemacht werden. Mit
dieser Datei ist das exakte Ankunftsdatum im Arbeitsamtsbezirk Braunschweig festzu-
stellen. Auf diese Weise lässt sich zumindest die Gesamtzahl aller in den Versicherungs-
bereich der AOK Braunschweig gebrachten Zwangsarbeiter exakt ermitteln. Damit hat
man sehr gute Anhaltspunkte, in welchem Umfang und aus welchen Regionen Fremd-
arbeiter nach Braunschweig gebracht wurden. Da die Zahlen der Arbeitsämter nur Stich-
tagsdaten auswerfen, kann aus diesen nicht auf die Gesamtzahl der in einem bestimm-
ten Zeitraum angekommenen ausländischen Arbeiter geschlossen werden. So sind bei-
spielsweise die über die Statistiken der Arbeitsämter ermittelten Zahlen stets als zu nie-
drig anzusehen, wenn man die genaue Zahl der im Zweiten Weltkrieg in das Deutsche
Reich verschleppten Fremdarbeiter ermitteln will.
Krankenversichert bei der AOK Braunschweig: ein kollektives Profil ausländi-
scher Arbeiter
Wie viele kamen, wie alt sie waren
Die Kurve der Anmeldungen ausländischer Arbeiter bei der Allgemeinen Ortskranken-
kasse (AOK) Braunschweig spiegelt den reichsweiten Verlauf der neu zur Arbeit im
Deutschen Reich verpflichteten ausländischen Arbeiter wider (Tabelle 7)
13
. Wie überall
im Reich ist der durch den Krieg bedingte Einsatz von Fremdarbeitern auch bei der
Gruppe der bei der AOK Krankenversicherten erst ab 1940 deutlich zu merken. Vor
dem September 1939 wurden ausländische Arbeiter durch das Braunschweiger Arbeits-
amt vor allem für den Industriekomplex in Salzgitter vermittelt. Die wenigen in Stadt
und Landkreis Braunschweig Gemeldeten arbeiteten bei Firmen des Fahrzeug- und
Motorenbaus und der Bauindustrie, die schon lange vor Kriegsbeginn von Rüstungsauf-
trägen profitiert hatten. Dies waren die Firmen Büssing, die Lastkraftwagen und Flug-
motoren
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baute, der Metallverarbeitungsbetrieb MIAG-Ammewerk (Ernst-Amme-
Str.), der u. a. Panzerraupen und Panzerteile produzierte sowie die reichsweit agierende
Baufirma Polensky & Zöllner, die einen für die Reichswerke in Salzgitter wichtigen Stich-
kanal bei Wedtlenstedt ausführte
15
. Bei allen übrigen Firmen sind in diesem Jahr keine
Meldungen von Zwangsarbeitern zu verzeichnen.
Bereits 1940 sind ausländische Zivilarbeiter auch in den Rüstungsbetrieben Büssing,
MIAG und Luther nachzuweisen. Wie auch in anderen Regionen
16
wurden deutsche
Arbeiter schon frühzeitig auch in der Rüstungsindustrie zum Wehrdienst einberufen. An
ihre Stelle traten Fremdarbeiter. Während 1940 und 1941 mit hochgerechnet 5.820 bzw.
5.080 etwa gleich starke Kontingente angemeldet wurden, stieg die Zahl 1942 knapp um
das Vierfache auf hochgerechnet 19.700 an. Dies bedeutet, dass sich auch in und um
13
Vgl. hier und im Folgenden grundlegend außer Spoerer (wie Anm. 7) auch Ulrich Herbert, Fremdarbeiter.
Politik und Praxis des Ausländereinsatzes in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Neuaufl. Bonn 1999.
14
Zu Büssing vgl. Anm. 30.
15
StA WF 17 R Zg. 70/1982 Nr. 467.
16
Vgl.
Heusler
(wie Anm. 9), S. 160.